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Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition)
Autoren: Paolo Pacigalupi
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wollen Geschichten, die gutausgehen! Sie wollen lustige Geschichten. Nicht die Sachen, die ich schreibe. Also schreiben wir alle das, was ihr lesen möchtet – nichts.«
    »Aber ...«
    »Nein.« Ich schneide ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Wir Nachrichtenleute sind äußerst gelehrige Affen. Wir schreiben, was immer ihr wollt, damit ihr uns eure kostbaren Augäpfel und eure Klicks schenkt. Wir schreiben gute Nachrichten und Texte mit Nutzwert, sagen euch, was ihr kaufen könnt, und liefern Geschichten mit SDS. Wir erzählen euch, wie man besseren Sex hat oder wie man sich gesünder ernährt oder wie man schöner aussieht oder sich glücklicher fühlt oder wie man meditiert – und dabei erleuchtet wird.« Ich verziehe das Gesicht. »Wenn ihr beim Spazierengehen meditieren und dazu noch Double DP haben wollt, dann geben wir euch auch das.«
    Sie beginnt zu lachen.
    »Warum lachst du über mich?«, fahre ich sie an. »Das ist kein Witz.«
    Sie macht eine Handbewegung. »Ich weiß, ich weiß, aber was du gerade mit ›Double‹ gesagt ...« Sie schüttelt den Kopf, noch immer lachend. »Vergiss es.«
    Ich verfalle in Schweigen. Ich möchte weiterreden, meinem Herzen Luft machen. Doch ich schäme mich dafür, dass ich die Fassung verloren habe. Ich habe kein Gesicht. Früher war ich anders. Früher hatte ich meine Gefühle unter Kontrolle, doch jetzt bin ich ein Amerikaner, so kindisch und unbeherrscht wie Janice. Und Kulaap lacht mich aus.
    Ich bändige meinen Zorn. »Ich glaube, ich will nach Hause«, sage ich. »Ich möchte diesen Abend nicht mehr fortsetzen.«
    Sie lächelt und lehnt sich zu mir herüber, berührt meine Schulter. »Sei doch nicht so.«
    Eine innere Stimme sagt mir, dass ich ein Narr bin. Dass ich leichtfertig und dumm bin, eine solche Gelegenheit auszuschlagen. Aber da ist noch etwas anderes; etwas an dieser fieberhaften Jagd nach Hits und Klicks fühlt sich plötzlich unrein an. So als ob mein Vater bei uns im Wagen säße und voller Missbilligung fragte, ob er denn die Beschwerden über seine verschwundenen Freunde um der Klicks willen verfasst hätte.
    »Ich will raus«, höre ich mich selbst sagen. »Ich möchte deine Klicks nicht haben.«
    »Aber ...«
    Ich schaue ihr direkt ins Gesicht. »Ich will raus. Sofort.«
    »Hier?« Ihr Gesicht nimmt einen überraschten, verärgerten Ausdruck an, dann zuckt sie mit den Achseln. »Es ist deine Entscheidung.«
    »Ja. Danke.«
    Sie weist ihren Fahrer an, rechts ran zu fahren. Wir sitzen in unbehaglichem Schweigen da.
    »Ich werde dir deinen Anzug zurückschicken«, sage ich schließlich.
    Sie schenkt mir ein trauriges Lächeln. »Schon in Ordnung. Ich schenk ihn dir.«
    Nun fühle ich mich noch schlechter, noch tiefer gedemütigt von ihrer Großzügigkeit, die ich abweise, aber dennoch steige ich aus. Überall um mich herum klicken Kameras. Dies sind meine fünfzehn Minuten Ruhm, der Augenblick, in dem alle Fans von Kulaap für einige Sekunden nur auf mich blicken, inmitten der Blitzlichter.
    Ich schicke mich an, nach Hause zu laufen, während die Paparazzi mir Fragen nachschreien.
     
    Fünfzehn Minuten später bin ich tatsächlich alleine. Ich überlege, ob ich mir ein Taxi rufen soll, doch dann ziehe ich die Nacht vor. Laufe lieber ungestört durch diese Stadt, in der niemand je irgendwohin zu Fuß geht. An einer Straßenecke kaufe ich eine Pupusa und spiele bei der mexikanischen Lotterie, weil mir das Laserbild von ihrem ›Tag der Toten‹ auf den Losen gefällt. Es ist wie ein Widerhall von Buddhas Ermahnung, nicht zu vergessen, dass wir alle einmal Tote sein werden.
    Ich kaufe drei Lotterielose, und eines davon bringt mir einen Gewinn: einhundert Dollar, die ich an jedem TexMex-Kiosk einlösen kann. Ich nehme es als gutes Zeichen. Auch wenn mich mein berufliches Glück ganz offensichtlich verlassen hat, und auch wenn das Mädchen Kulaap nicht der Bodhisattwa war, den ich schon in ihr gesehen habe, so fühle ich mich doch vom Glück gesegnet. Als ob mein Vater neben mir diese Straße in Los Angeles hinunterginge, mitten in der kühlen Nacht, wir beide wieder zusammen, ich mit einer Pupusa und einem Gewinner-Los, er mit einer Ah Daeng -Zigarette und seinem stillen Spielerlächeln. Auf seltsame Weise fühlt es sich an, als ob er mir seinen Segen erteilte.
    Und so gehe ich nicht nach Hause, sondern stattdessen in die Redaktion.
    Bei meiner Ankunft laufen meine Geschichten gut. Sogar jetzt, mitten in der Nacht, liest ein winziger Teil von
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