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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin
Autoren: balzon
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drückte sich an das kalte Mauerwerk und lauschte den trommelnden Schlägen ihres Herzens. Ta t sächlich, niemand folgte ihr! Zumindest ein wenig Zeit hatte sie gewonnen. Mit zitternden Fingern rückte sie ihre verrutschte Haube zurecht. Schließlich holte sie tief Luft und betrat den Seitengang, der zur großen Vorhalle führte.
    Sie hatte Glück – in der Halle befanden sich keine G ä ste, nur Victor saß auf einem Holzstuhl neben der Treppe und wartete geduldig wie immer darauf, dass jemand durch das Tor eintrat.
    »Victor!«, rief sie ihm leise zu. Der Lakai schrak hoch und stand wenig später kerzengerade neben dem Stuhl. In seiner Jugend musste Victor ein schöner Mann gewesen sein, nun aber hingen die prächtig bestickten Schöße se i ner Livree traurig herab und seine Beine in den Halbh o sen und den hellen Strümpfen sahen mager aus. Als er erkannte, wer ihn gerufen hatte, verlor er seine gerade Haltung und ließ sich wieder auf den Stuhl sinken.
    »Die Kleine von den Königshügeln«, brummte er. »Was bringst du?«
    »Heute kein heißes Bier«, antwortete Elin. »Dafür aber etwas zum Aufwärmen.«
    »Oh gut«, sagte er. »Meine alten Knochen sind heute aus Eis.« Sein hageres Gesicht verzog sich zu einem b e sorgten Lächeln. »Dein Gesicht glüht ja, Kind. Hast du Fieber?«
    »Greta ist hinter mir her«, flüsterte Elin. »Ich brauche deine Hilfe!«
    »Greta, hm. Da kann ich dir nicht helfen. Sie ist deine Herrin, ich bin nur für die Gewänder zuständig.«
    »In der Küche verdächtigen sie Emilia, das Medaillon gestohlen zu haben!«, sprudelte es aus Elin heraus. »Ich will nicht, dass sie ihre Arbeit verliert.«
    Victors Gesicht verdüsterte sich. Resigniert schüttelte er den Kopf.
    »Diese Meute«, murmelte er. »Emilia würde nie ste h len. Aber ich fürchte, jemand wie du kann da nichts m a chen.«
    »Vielleicht doch! Aber dazu muss ich etwas wissen – über Fräulein Sparre.«
    »So? Was denn?«
    »Ich habe gehört, dass sie heute im Park war.«
    »Ja, natürlich. Ganz verfroren war sie, als sie vom Spaziergang zurückkehrte. Und unser französischer Gast auch …«
    »Sie trug ein Tuch. Hat sie es bei dir abgelegt? Kann ich … es sehen? Bitte!« Victor runzelte die Stirn. »Es ist weiß«, drängte Elin. »Mit Blumenranken.«
    »Ach das! In der Kleiderkammer ist es nicht. Als sie es abnahm, ist sie mit ihrem Ring daran hängen gebli e ben und a us der Stickerei haben sich Fäden gezogen. Deshalb habe ich das Tuch nach dem Spaziergang auf Fräulein Sparres Geheiß der Kammerfrau der französ i schen Gäste bringen lassen. Sie versteht sich auf diese Art der Stick e rei und wird es ausbessern. Was hast du vor?«
    Auf der Treppe zum Dienstbotengang wurden Schritte laut. Elin trat näher an Victor heran.
    »Sie dürfen mich nicht finden«, flüsterte sie. »Ich kann Emilia vielleicht helfen. Aber dazu muss ich erst das Tuch sehen.« Der alte Diener war bleich geworden. Seine Unterlippe zitterte vor Anspannung. »Wo ist die Kammer, in der das Tuch liegt, Victor? Ich schwöre, ich mache dir keine Schwierigkeiten – wenn dich jemand fragt, sag einfach, du hast mich nie gesehen!«
    Elin blickte sich um. Gleich würde die Tür auffliegen und Greta würde Elin in die Küche zurückschleppen. Und diesmal würde sie sicher nicht mit einem blauen Fleck davonkommen. Victor schien den gleichen Geda n ken zu haben.
    »Gut, Mädchen. Geh diese Treppe hier hinauf und nimm oben die Schürze ab, verstanden ? Die Gardisten und die Diener sind heute nicht besonders aufmerksam – und wenn dich jemand fragt, sag, du bringst die bestellte Wärmflasche für Madame Joulain. So heißt die Kamme r frau der Marquise. Kannst du dir das merken?« Elin hielt die Luft an und nickte. In knappen Worten beschrieb der alte Diener den Weg.
    »Danke!«, flüsterte sie und rannte los. Nur ganz am Rande vernahm sie, wie unten die Tür zum Dienstbote n gang aufging. Victors unterwürfige Stimme klang zu ihr herauf. Völlig außer Atmen kam sie endlich bei der obe r sten Treppenstufe a n und rannte zu einem der Fenster, durch die diffuses Schneelicht hereinfiel. Obwohl es erst Nachmittag war, senkte sich bereits die Dunkelheit über Uppsala. Elin zog die Schürze aus, knüllte sie zusammen und verbarg sie unter einem der Vorhänge. Sie drückte das beruhigend heiße Kupfer an ihre Brust und lief los.
    Niemals zuvor war sie in diesem Teil des Schlosses gewesen. Einmal zog sie sich hinter einen Vorhang z u rück, bis zwei Gardisten
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