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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman
Autoren: Luchterhand
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sie über das ganze Gesicht, bis die Sprache auf die Methode kam, die ich in Anspruch genommen hatte. Ich war damals entsetzt über die Härte von Mutters Urteil. »Wenn man nicht von selbst schwanger wird, dann soll es nicht sein. Bist du nicht zu alt, um Mutter zu werden?« Ich schwieg und ignorierte ihre Bemerkung zunächst. Als Mutter dann später nach der Fehlgeburt der Zwillingsmädchen ins Krankenhaus kam und mir als Erstes ins Gesicht sagte »Du armes Kind. Das Schicksal hat entschieden. Es wird alles seine Richtigkeit haben«, konnte ich zunächst nichts erwidern. Ich bat sie damals, abzureisen und mich in Ruhe zu lassen, weigerte mich anschließend, ihre Anrufe entgegenzunehmen oder auf ihre Briefe zu antworten, bis sie mir dann zwei Jahre später das Paket mit dem Weihnachtsschmuck schickte.

Wien Juli 1966
    … die Wipfel der Zypressen, auf die Max seinen Blick gerichtet hatte, schwankten im Wind, der einen Duft von Fisch und Algen mit sich trug. Unten im Hafen des Dorfes schaukelten die alten Fischerboote in den Wellen hinter der Mole unruhig auf und ab. Ein Junge in zerlumpten grauen Hosen und schmutzigem weißem Hemd machte sich an den Netzen zu schaffen. Sonst war niemand zu sehen. Vor dem Lebensmittelladen am Ende der geduckten Häuserreihe, die den Hafen einrahmte, stand schräg gegenüber der Eingangstüre ein Motorrad der Deutschen Wehrmacht mit Beiwagen geparkt. Unterbrochen vom Rauschen des Windes in den Bäumen hörte Max verwaschene Geräusche zu seinem Standplatz heraufdringen. Er hielt das Gewehr im Anschlag. Aus dem Laden kamen Stimmen, die immer lauter wurden. Plötzlich ertönte der spitze Schrei einer Frau. Der Junge an der Mole ließ die Netze fallen und lief davon, drückte sich in einen der schmalen Gasseneingänge, um den Blick noch einmal in Richtung des Ladens zu werfen, dann verschwand er hinter einem Haus. Vom oberen Ende des Dorfes, das dicht an einen Abhang gedrängt lag, hörte Max das tosende Brummen weiterer Motorräder. Der Lärm brach sich mehrmals an den Mauern der Vorhöfe und Häuser. Er kündigte die Ankunft des Konvois an, dessen erstes Fahrzeug auf dem Vorplatz zwischen den Gebäuden und der Hafenmauer hielt. Ein älterer kleinwüchsiger Mann mit Bart in einem schwarzen abgetragenen Anzug streckte seine Hände in die Höhe, hinter ihm stolperte eine Frau in einem schwarzen Kleid, das Kopftuch unter dem Kinn geknotet. Der Soldat, der beide mit der Geste seines Gewehrs und einer deutlichen Kopfbewegung vor sich her trieb, schrie etwas in lautem Befehlston. Der alte Mann begann zu laufen. Als sich der Soldat von ihm wegdrehte, bog er um die nächste Häuserecke. Ein Schuss fiel. Die Frau im schwarzen Kleid sank zu Boden. Der Soldat blickte zu Max hinauf …
    Max setzte sich im Bett auf, er war von seinem Schrei erwacht, das Nachthemd klebte schweißnass an seinen Schulterblättern. Durch das offene Fenster drang das Quietschen entfernter Eisenbahnwaggons an den Weichen der Einfahrtstrecke zum Bahnhof. Er starrte an die von den Straßenlaternen erleuchtete Zimmerdecke und im selben Moment war er sich nicht sicher, ob er sich in Griechenland befand oder in der Wohnung in Wien. Max betrachtete die im schwachen Licht sanft sich wellenden Gardinen vor dem offenen Fenster. Fast ein Jahr war es her, seit er seine Beine verloren hatte, und er konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen. Max sah das Gesicht des Professors vor sich, der am Abend vor der Operation neben seinem Bett gestanden war. Sein Blick war ernst gewesen und Max hatte geahnt, was auf ihn zukommen würde. Die Wunden wollten nicht heilen, eiterten unentwegt und keine Behandlung hatte geholfen. Sie wären doch beide im Krieg gewesen und wüssten, worum es ging. Max hätte seine Beine auch unter anderen Umständen verlieren können. Ob er etwas zur Beruhigung wolle, hatte ihn der Arzt gefragt. Die Holzprothesen standen neben seinem Bett, er hatte eine Halterung aus Draht gebastelt, in der sie ihren Platz für die Nacht fanden und sie waren mit einem Tuch zugedeckt, damit Margarethe der Anblick nicht stören würde, falls sie wieder einmal zu ihm ins Zimmer kommen sollte, um neben ihm zu schlafen. Sie tat es in der letzten Zeit selten, und er konnte es ihr nicht verübeln. Es war für ihn mühsam, die beiden Klötze so leise wie möglich anzulegen, um dann auf den Balkon zu gelangen. Die Luft war drückend, aber das leise Rascheln in den Blättern der Bäume versprach Max etwas Kühlung. Hoffentlich würde er
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