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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
Autoren: René Grandjean
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großen
Apfelbaum, auf der Bank, saß Tinka. Oder Lana? Rolo konnte sie einfach nicht
auseinanderhalten. Hallimasch nickte ihm wohlwollend zu, und Hwarf schlug den
Zapfhahn mit einem kräftigen Hammerschlag ins Fass. Das Bier sprudelte wie aus
einem Springbrunnen. Alle applaudierten. Solomon ließ seine Krähen aufsteigen,
und sie schrieben Rolos Namen in den Himmel. Aber wo blieben seine Eltern?
Endlich traten sie aus dem Haus. Seine Mutter sah genauso aus wie auf dem Bild,
das in der Küche hing. Rolo rannte und sprang ihr in die ausgebreiteten Arme.
Sie drückte ihn fest an sich, und sie drehten sich lachend im Kreis. Ihm war
ganz schwindelig, als sie ihn wieder auf die Beine stellte. Er schaute hoch zu
seinem Vater. Doch diesen Mann hatte er noch nie gesehen. Das Gesicht, die
ganze Gestalt erschien unscharf, wie durch ein verregnetes Fenster betrachtet.
Aber es musste sein Vater sein. Wieso sonst hakte seine Mutter sich bei ihm
unter? Die Gestalt war größer als alle anderen Anwesenden. Sogar größer als die
Bäume und die Häuser. Rolo hatte plötzlich das Gefühl zu schrumpfen. Schon war
die kleine Stufe auf dem Weg vom Garten ins Haus ein unüberwindbares Hindernis.
Seine Mutter warf lachend den Kopf in den Nacken, dass ihr Haar nur so flog.
Krah tauchte über Rolo auf. Er war riesig. Und sein Gesicht war verändert. Die
Augen waren schmale Schlitze. Sein Lachen eine irre Grimasse. „Madenkind“,
flüsterte er.
    Onno war
ebenso entstellt. Seine dicken Wangen hingen herab wie Lefzen. Er zeigte mit
dem Finger auf Rolo.
    „Madenkind.“
    Mehr Gäste
steckten die Köpfe zusammen. Speichel tropfte aus ihren verzerrten Mündern. Die
Alben fletschten die Zähne. „Madenkind.“
    Rolo suchte
nach einem Ausweg. Aber er war so winzig. Er wollte über die riesigen Füße
springen und davonlaufen, aber seine Beine trugen ihn nicht mehr.
    „Madenkind.“
    Rolo schaute
an sich hinab. Seine Beine waren verschwunden. Sein Körper bestand aus dicken,
halb durchsichtigen Gliedern. Er konnte seine Innereien durch die dünne Haut
schimmern sehen. Sie hatten recht. Er war eine Made. „Madenkind“, riefen sie.
Ihre Gesichter veränderten sich. Das Fleisch schmolz ihnen von den Knochen. Die
Haut hing in langen Lappen herab. Die Augen kullerten aus den Schädeln.
„Madenkind.“
    Sie lachten
mit lippenlosen Mündern. Plötzlich warf eine heftige Ohrfeige Rolos Kopf zur
Seite. Er erschrak, konnte den Angreifer aber nicht entdecken. Schon traf ihn
die Nächste.
    „Madenkind.“
    Verflüssigtes
Gewebe klebte an Rolo wie Spinnweben. Haare rieselten von bald blanken
Schädeln.
    „Madenkind.“
    Und noch ein
Schlag ins Gesicht. Rolo wand sich. Er wollte davonkriechen, aber er hatte
keine Arme mehr.
    „Madenkind.“
    Die nackten
Schädel senkten sich mit schnappenden Kiefern auf ihn hinab. Er schrie. Dann
wurde alles schwarz.
    „Ich bin
eine Made!“
    „Nein, bist
du nicht. Wenn überhaupt bist du eine Nacktschnecke“, beruhigte ihn Driftwood.
    Socke schob
sich ins Licht.
    „Es ist
alles in Ordnung, Rolo. Du bist ein Mensch. Schau selbst.“
    Rolo setzte
sich ruckartig auf. Im Schein des Feuers sah er seine Arme und Beine. Mit einem
Seufzer der Erleichterung sank er wieder auf den Rücken.
    „Ich musste
dich ganz schön verdreschen, bist du wieder zu dir kamst“, erklärte Driftwood
kopfschüttelnd.
    „Was ist
passiert?“, ächzte Rolo.
    „Ein übler
Zauber. Wir waren alle in Visionen gefangen. Visionen aus unseren Erinnerungen
und Ängsten. Der arme Socke hat die Vernichtung des Nachtvolkes noch mal
durchlebt. Er musste mit ansehen, wie unsere Freunde abgeschlachtet wurden.
Grausam.“
    „Ich konnte
nichts tun.“ Socke schaute betreten zu Boden. „Schon gut, mein Freund. Es war
nicht real.“
    „Aber es war
mehr als nur Erinnerung“, dachte Rolo.„Und du?“
    „Frag
nicht.“ Driftwood spuckte aus. „Ich habe noch für Wochen Sand zwischen den
Zähnen. Wir wären alle in unseren Illusionen durchgedreht, wenn uns nicht
jemand rausgeholt hätte.“
    „Wer denn?“
Rolo setzte sich auf.
    „Brrr!“
    „Kotze!“
    Der magusche
Hund saß zwischen den Alben. Er mahlte verlegen mit den Zähnen.
    „Hat mir so
lange ins Bein gebissen, bis ich zu mir kam“, schmunzelte Socke.
    „Wie bist du
hier runter gekommen?“, wollte Rolo wissen. „Offensichtlich hat der schlaue
Racker einen Weg entdeckt. Ist das nicht großartig? Zumal wir jetzt wissen,
dass wir nicht in einem anderen Land sind. Oder in einem anderen
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