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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen
Autoren: Antonio Hill
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Héctor, ohne etwas zu sagen.
    »Aber bei Gina war es kein Affekt, Glòria«, sagte er. »Das war kaltblütiger Mord an einem unschuldigen jungen Mädchen ...«
    »Unschuldig? Dann haben Sie nicht alle Fotos gesehen, Inspektor! Sie haben die Fotos gemeinsam gemacht, alle beide. An einem Abend, als sie hier war, um auf Natàlia aufzupassen. Sie ist sogar auf einem zu sehen, ich nehme an, sie wollten es später löschen.«
    »Sie haben ihr nichts angetan«, flüsterte Héctor. »Sie hatten vor, mit diesen Bildern einen Kinderschänder unter Druck zu setzen.«
    »Aber das wusste ich nicht. Mein Gott, das wusste ich nicht! Und ich sagte mir, wenn Marc tot ist, muss auch sie sterben. Außerdem ...«
    »Außerdem wussten Sie nicht, dass Gina in der Nacht hiergeblieben war, und als Sie es erfuhren, bekamen Sie Panik. Zu Ihrem Glück war Gina so betrunken, dass sie gleich eingeschlafen ist und nichts gehört hat. Aber als wir noch einmal herkamen und Ihnen klar wurde, dass der Fall nicht abgeschlossen war, haben Sie Angst bekommen. Und wollten mit dem vorgetäuschten Selbstmord von Gina einen Schlussstrich ziehen. An diesem Nachmittag sind Sie zu ihr nachhause gegangen, haben mit ihr gesprochen, haben sie bestimmt ein wenig unter Drogen gesetzt, so wie Ihren Mann in der Johannisnacht, haben sie in die Badewanne gelegt und ihr eiskalt die Pulsadern aufgeschnitten. Dann haben Sie eine falsche Selbstmordnachricht geschrieben und dabei versucht, den Stil der jungen Leute nachzuahmen.«
    »Sie war genau so schlecht wie er«, sagte Glòria voll Hass.
    »Nein, Glòria, sie waren nicht schlecht. Sie mochten jung gewesen sein, verwöhnt, mochten sich irren, aber schlecht waren sie nicht. Der einzige schlechte Mensch hier sind Sie. Und Ihre größte Strafe wird nicht das Gefängnis sein, sondern die Trennung von Ihrer Tochter. Aber glauben Sie mir, Natàlia hat eine bessere Mutter verdient.«
    Enric Castells betrachtete das Schauspiel mit offenemMund. Er konnte kein Wort hervorbringen, als Héctor seine Frau festnahm, sie über ihre Rechte belehrte und zur Tür führte.

41
    Als Héctor gegen halb elf das Kommissariat verließ, begriff er, dass er, sowenig es ihm behagte, in seine Wohnung zurückmusste. Mehr als sechsunddreißig Stunden hatte er nicht geschlafen, seine Lungen waren voll Nikotin, der Magen leer, der Kopf stumpf. Er brauchte ein wenig frische Luft, dann eine ausgiebige Dusche; er musste die Anspannung loswerden, wieder zu Kräften kommen.
    Die Stadt war wie gedämpft an diesem warmen Sonntagabend. Selbst die wenigen Autos, die auf den Straßen unterwegs waren, schienen langsamer zu sein, träger, als wollten ihre Fahrer das Wochenende noch nachklingen lassen. Héctor, der zügig losmarschiert war, passte seinen Schritt dem gemächlichen Rhythmus auf den Straßen an. Er hätte alles getan, um auch sein Gehirn zu beruhigen und diesen Strom von Bildern zu stoppen. Aus Erfahrung wusste er, dass es eine Frage der Zeit war. Früher oder später würden die Gesichter, die jetzt unvergesslich schienen, in den Tiefen des Gedächtnisses ihre Konturen verlieren. Ein paar jedoch wollte er lieber nicht vergessen: das erschrockene, erbärmliche Gesicht von Eduard Rovira zum Beispiel. Sosehr er ihm mit dem Gefängnis gedroht hatte, für seine Taten würde er sich kaum verantworten müssen. Nicht vor der Justiz. Aber zumindest würde er mit der Schande leben müssen, sagte er sich, mit der Schande, dass man ihn entdeckt hatte, und mit der Verachtung der Menschen, die um seine Taten wussten. Dafür würde Héctor persönlich sorgen, so bald wie möglich. Typen wie Edu verdienten kein Mitleid.
    Er atmete tief durch. Am nächsten Tag musste er noch einiges erledigen. Mit Joana sprechen und sich von ihr verabschieden, Carmen im Krankenhaus besuchen ... und sich bei Kommissar Savall entschuldigen. Wie sein Chef vor Jahren im Fall Iris gehandelt hatte, war vielleicht nicht vorbildlich gewesen, aber seine Beweggründe waren keine egoistischen, im Gegenteil. Er selbst hatte jedenfalls kein Recht, Partei zu ergreifen oder sich als Richter aufzuspielen. Das überließ er Leuten wie Pater Castells. Morgen, dachte er, morgen bringe ich alles in Ordnung. Jetzt konnte er nichts mehr tun. Vom Kommissariat aus hatte er nur eine einzige Person angerufen: die Kollegin Castro, um ihr mitzuteilen, dass sie mit ihrer Intuition richtiggelegen hatte. Er war es ihr schuldig. Womöglich wäre der Fall, wenn sie nicht gewesen wäre, nie aufgeklärt worden. Sie
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