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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen
Autoren: Antonio Hill
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durchgesetzt und war allein gegangen. Für das, was er vorhatte, waren zwei einer zu viel.
    Enric Castells war müde, sagte sich Héctor. Dunkle Augenringe verdüsterten seine Miene.
    »Ich will nicht unhöflich sein, Herr Inspektor, aber ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, uns an einem Sonntagabend zuhause aufzusuchen. Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, dass dieses Wochenende für meine Familie nicht eben einfach gewesen ist ... Gestern mussten wir guten Freunden kondolieren, deren Tochter sich umgebracht hat und vielleicht auch meinen ...« Er hielt kurz inne. »Und seither geht mir alles immer wieder durch den Kopf. Alles ...«
    Er legte die Hände vors Gesicht und holte tief Luft.
    »Ich will, dass es endlich aufhört«, sagte er. »Was Glòria bloß die ganze Zeit da oben macht ... Können wir nicht ohne sie anfangen?«
    Héctor wollte schon wiederholen, was er ihm bereits an der Tür gesagt hatte; dass er die Mitarbeit von beiden brauche, weil neue, beunruhigende Beweise zum Tod ihres Sohnes aufgetaucht seien. Doch in dem Moment kam Glòria herein, allein.
    »Na endlich!«, rief Enric. »Dauert es so lange, dieses Mädchen zu baden?«
    Der unfreundliche Ton überraschte den Inspektor. »Dieses Mädchen.« Nicht »das Mädchen«, nicht »meine Tochter«, nicht einmal »Natàlia«. Dieses Mädchen.
    Glòria antwortete erst gar nicht und nahm neben ihrem Mann Platz.
    »Nun fangen Sie schon an, Herr Inspektor. Wollen Sie uns sagen, warum Sie gekommen sind?«, fragte Castells.
    Héctor blickte die beiden abwechselnd an. Ein Ehepaar, das in einem Kalten Krieg zu leben schien. Und er sagte:
    »Ich muss Ihnen eine Geschichte erzählen, die viele Jah-re zurückliegt. Es war der Sommer, als Marc sechs Jahre alt war. Der Sommer, als ein Mädchen namens Iris Alonso starb.«
    Aus Enrics Gesichtsausdruck schloss Héctor, dass auch er das Blog von Marc gelesen hatte. Er wusste nicht, wie er von dessen Existenz erfahren hatte, aber offenkundig war der Name Iris ihm vertraut. Salgado fuhr in seinem Bericht fort und fasste die Geschichte von Missbrauch und Tod zusammen. Dann erzählte er ihnen von Inés und Marc in Dublin,von Marcs Entschluss, die Wahrheit ans Licht zu bringen, und kam so zu dessen Plan, Fèlix zu nötigen, seinem Neffen den Namen zu verraten, den er wissen wollte; er erzählte von dem perversen Trick, für den er Natàlia benutzte, und beschrieb unverblümt ein paar Fotos, auch wenn er die gar nicht kannte. Dabei beobachtete er die Mienen der beiden Castells und sah, was er erwartet hatte: Aus seiner sprach eine Mischung aus Argwohn und Interesse; aus ihrer Überraschung, Ekel, Hass. Am Ende erzählte er von Aleix’ Intervention, so blieb der Name seines Bruders Eduard unerwähnt. Es war ein knappes, aber klares Resümee.
    »Herr Inspektor«, begann Enric, der Salgado aufmerksam zugehört hatte, »wollen Sie mir sagen, dass mein Sohn vorhatte, meinen Bruder Fèlix zu erpressen? Das hätte er nicht getan, da bin ich sicher. Am Ende hätte er einen Rückzieher gemacht.«
    Héctor wiegte zweifelnd den Kopf.
    »Das werden wir niemals erfahren. Marc und Gina sind tot.« Er griff in seine Hosentasche und holte den Stick heraus, den Aleix ihm vor einer Stunde gegeben hatte. »Das ist der USB-Stick, den Gina von hier mitgenommen hat, sie hat ihn später Aleix gegeben. Aber es ist kein Foto darauf. Tatsächlich ist das nicht einmal Ginas Stick, auch nicht Marcs. Er gehört Ihnen, nicht wahr, Glòria?«
    Sie antwortete nicht. Ihre rechte Hand krallte sich in die Sofalehne.
    »Es sind Ihre Aufzeichnungen von der Universität. Haben Sie sie nicht vermisst?«
    Enric schaute langsam auf, er begriff nicht.
    »Ich habe in diesen Tagen nicht viel Zeit zum Studieren gehabt, Herr Inspektor«, sagte Glòria.
    »Das glaube ich Ihnen. Sie waren viel mit anderen Dingen beschäftigt.«
    »Was wollen Sie damit andeuten?« Enrics Stimme klang wieder fester, es war die Stimme des Hausherrn, der nicht duldet, dass ein Mitglied seiner Familie in den eigenen vier Wänden angegriffen wird.
    Héctor sprach weiter. In einem ruhigen, fast freundschaftlichen Ton.
    »Ich will damit andeuten, dass das Schicksal allen eins ausgewischt hat. Der USB-Stick mit den Fotos war ein paar Tage hier, bevor Gina ihn mitnahm. Und die verspielte Natàlia tat in aller Unschuld, was ihr in diesen Tagen großen Spaß machte. Sie selbst, Glòria, haben es meiner Kollegin Castro erzählt, als wir hier waren. Natàlia also nahm den Stick mit den Fotos und legte
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