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Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)

Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
Autoren: Amanda Howells
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zu begreifen, dass er nicht mehr da war. Ich kämpfte mit meinem Brief. Doch endlich wusste ich, was ich schreiben wollte. Diese drei einfachen Worte, die ich nie zu ihm gesagt hatte. Ich weiß, dass er um meine Gefühle wusste, aber es tat gut, sie aufzuschreiben, das Papier zu falten und es in die Flasche zu stecken. Es war eine Nachricht, ein Liebesbrief, nur drei kurze Wörter in Tinte.
    An der Wasserkante zögerte ich. Früher hatte ich immer nach Schätzen gesucht, die der Ozean wieder hergegeben hatte, jetzt würde ich ihm einen Schatz anvertrauen. Das Glas der Flasche würde den Brief nicht lange schützen können. Selbst wenn sie nicht auf den Felsen zerbrach, würde das Wasser hineinsickern und die Worte wegwaschen.
    Doch nicht der Brief selbst war das eigentlich Wichtige, sondern der Akt des Schreibens. Nur, weil sie dort draußen nicht lange überdauern würden, bedeutete es nicht, dass die Worte nie existiert hatten. Deswegen war ich dort. Für diesen einen Moment. Und wegen der vielen schönen Momente, die ich an demselben Ort verbracht hatte, Momente, die in mir weiterleben würden, wo immer ich hinging.
    Ein tiefer Atemzug.
    Ich blickte hinaus auf das Meer, über das funkelnde Wasser. Dann warf ich die Flasche hinein, so weit und fest ich konnte. Ein Licht, das zweimal so hell brennt, verlöscht am schnellsten. Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, aber die Wort wallten in meinem Herzen auf, schwer, aber auch leicht wie ein Echo. Ich schluckte sie hinunter und beobachtete, wie eine Welle die Flasche erfasste. Dann verschwand sie unter einem Schwall weißer Gischt, kein Abschiedsgeschenk, sondern ein Souvenir. Denn ich sagte nicht auf Wiedersehen, sondern versprach, nie zu vergessen.
    Meine Eltern warteten auf mich, als ich aus dem Wasser watete. »Fertig?«, fragte Dad.
    »Ja«, log ich. Dann kehrten wir um.

    »Übrigens habe ich von Tante Kathleen gehört«, erzählt mir Mom, als wir am Tybee Beach entlangspazieren. »Sie ist zurück aus Europa. Sie und Rufus wollen es noch einmal miteinander versuchen.«
    »Meinst du, sie schaffen es?«
    »Ich weiß nicht.«
    Eine Weile lang schweigen wir, und ich denke an Corinne und die E-Mail, die sie mir kürzlich geschickt hat. Sie hat das vorletzte High-School-Jahr auf dem neuen Internat abgeschlossen. War gar nicht so übel, hat sie geschrieben. Ich habe hier angefangen, mich ernsthaft für Yoga zu interessieren. Sie kehrt wieder nach Manhattan zurück, will aber das Balletttraining nicht wiederaufnehmen. Ich möchte gerne Yogalehrerin werden. Mom muss sich erst an den Gedanken gewöhnen. Es ist nicht leicht für sie. Corinne hört sich gut an, als sei sie mit sich im Reinen. Sie hat es verdient, glücklich zu sein.
    Beth hat ihr Studium vor kurzem aufgegeben und ist an eine Kochschule in der Provence gegangen, dieselbe, an der meine Tante jedes Jahr unterrichtet. Die Vorstellung von Beth an der Kochschule bringt mich zum Lächeln. Wie angewidert sie an dem Grillabend mit Simons Familie ihr schönes Gesicht verzogen hat, als sie die Jakobsmuscheln aufs Blech bugsierte!
    Von Beth höre ich nicht viel, aber ich kann mir denken, dass sie im Großen und Ganzen so bleibt, wie sie war: wie eine jener schönen Seeanemonen, die Gift in ihren weichen Falten speichern, unter dem blassen Schimmer ihrer Tentakel. Ich bin mir sicher, dass Beth ihr Leben lang mit ihrem verletzlichen Äußeren hausieren geht, unter dem sie ihre wahre Härte verbirgt. Bei Corinne ist es genau das Gegenteil. So sehe ich es jedenfalls. Doch vielleicht überraschen sie mich noch. Menschen ändern sich.
    Gen hat mich zum Beispiel überrascht. Nach Simons Tod hat sie mir per E-Mail eine Beileidskarte geschickt. Was sie schrieb, schien wirklich von Herzen zu kommen und klang so gar nicht nach ihr. Weshalb ich mich umso mehr darüber freute. Sie hat sie geschrieben, während sie irgendeinen Independent-Film drehte, in dem ein Haufen nackter Zombie-Frauen ein Kloster terrorisieren. Ich freue mich schon darauf, mir die DVD auszuleihen.
    Während ich mit Mom am Strand entlangspaziere, färbt sich der Himmel zart perlmuttrosa. Wie so viele Male zuvor versuche ich, die Gedanken an jenen Sommer zu unterdrücken und an das zu denken, was vor mir liegt. Neue Gesichter, neue Chancen. Noch kann ich sie nicht erkennen, aber ich werde die Chancen ergreifen, wie sie kommen. Ich werde sie nicht an mir vorüberziehen lassen.
    Mom hält den Kontakt zu Simons Mutter, und ein paar Monate nach seinem Tod traf ein
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