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Der Sokrates-Club

Der Sokrates-Club

Titel: Der Sokrates-Club
Autoren: Nathalie Weidenfeld , Julian Nida-Ruemelin
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sagt das asiatisch aussehende Mädchen.
    Genau. Damit eine Äußerung eine Lüge ist, muss sie folgende Eigenschaften haben: Erstens, sie muss falsch sein, sie darf mit den Tatsachen nicht übereinstimmen. Zweitens, derjenige, der das sagt, muss wissen, dass sie falsch ist. Drittens, er muss auch die Absicht haben, zu täuschen. Der Schauspieler auf der Bühne lügt nicht, weil er ja weiß, dass die Zuschauer nicht glauben, dass das, was er sagt, wahr ist.
    Die Kinder nicken zustimmend.
    Dann gibt es noch eine andere Art von Lügen. Im Englischen nennt man sie white lies, weiße Lügen. Zum Beispiel kann es sein, dass es eurer Freundin schlecht geht, und ihr wisst das auch. Wenn ihr sie jetzt fragt, wie es ihr geht, und sie sagt, mir geht’s ganz okay, dann wisst ihr zwar, dass das nicht wahr ist, aber ihr versteht, dass sie nicht sagen will, wie es ihr in Wirklichkeit geht, und ihr respektiert das.Hättest du in einem solchen Fall das Gefühl, belogen worden zu sein? ( Mehr wissen)
    » Nein, eigentlich nicht«, sagt ein kleines Mädchen vorne rechts.
    Aber warum nicht?
    » Weil sie ja weiß, dass ich gar nicht unbedingt will, dass sie mir sagt, wie es ihr wirklich geht«, antwortet sie.
    Ja, so sehe ich das auch.
    Die Stunde ist um. Als wir rausgehen, sehe ich zum Engel und seinem Freund. Inzwischen hat ihm jemand die rote Pudelmütze über das Gesicht gezogen. Ob die beiden auch gelegentlich über Wahrheit und Wissen philosophieren? Wahrscheinlich haben sie genug damit zu tun, die Kleidungsstücke zu verwahren, bis die rechtmäßigen Besitzer sie wieder an sich nehmen.

Wahrheit und Wissen
    Was ist Wahrheit, und wann kann man sagen, wir wüssten etwas? Diese beiden Fragen markieren die sogenannte theoretische Philosophie mit ihren Disziplinen Wahrheitstheorie, Erkenntnistheorie, Ontologie und Wissenschaftstheorie. Die Wahrheitstheorie fragt nach dem, was Wahrheit ist, ob sie erlangt und wenn, wie sie erlangt werden kann. Die Erkenntnistheorie befasst sich mit den Kriterien wohlbegründeten Wissens, die Ontologie damit, was existiert, und die Wissenschaftstheorie mit den Methoden der Erkenntnisgewinnung in den einzelnen Wissenschaften. Wir beschränken uns im Folgenden auf einige wenige Leitfragen der theoretischen Philosophie.
    »Also, so richtig wissen kann man eigentlich nie was!«
    Fallibilismus
    Unter Fallibilismus versteht man die philosophische Auffassung, dass Überzeugungen irrig sein können, dass es kein sicheres Fundament unbezweifelbarer Überzeugungen gibt, aus dem sich alles Wissen ableiten lässt. Die Rationalisten der Neuzeit, am bekanntesten ist René Descartes, hatten versucht, alles menschliche Wissen auf einige wenige, unbezweifelbare Prinzipien zurückzuführen, Prinzipien, die allein durch Überlegen gewonnen werden können, etwa das cogito ergo sum – wenn ich denke, kann ich nicht bezweifeln, dass ich existiere.
    »Wenn ich sehe, dass es draußen schön ist, dann weiß ich das auch.«
    Empirismus
    Im Gegensatz zu Rationalisten wie Descartes, die alles Wissen auf Vernunft zurückführen, sind Empiristen der Meinung, dass letztlich alles Wissen auf Erfahrung gründet. Radikale Empiristen meinen, dass Theorien und Hypothesen nur sinnvoll seien, sofern es eine Methode gibt, sie durch Erfahrungsdaten zu verifizieren oder aber zu falsifizieren. Gegen den radikalen Empirismus spricht, dass wir Erfahrungen nur machen können, wenn wir unsere Sinneseindrücke schon in einem gewissen Umfange strukturieren, also Vorwissen oder Sichtweisen einbringen. Bereits frühneuzeitliche Philosophen waren der Meinung, dass wahre Einsicht auf empirischen Erkenntnissen beruht, so vertrat zum Beispiel Francis Bacon die Ansicht, dass wahre Erkenntnis durch Auslöschung von falschen Vorstellungen, von Trugbildern, zu erreichen sei. In der europäischen Aufklärung war es unter anderem David Hume, der meinte, dass es unmöglich sei, einfache Vorstellungen zu haben oder einfache Dinge zu denken, die nicht irgendwann einmal als unmittelbare Wahrnehmung gegeben waren. Ebenso sah John Locke, ein Vertreter des englischen Empirismus, Erfahrung als die Grundlage jedes Wissens an.
    Wahrheit und Lüge
    Viele Menschen meinen, Kinder könnten nicht unterscheiden zwischen wahr und falsch, zwischen Realität und Phantasie. Ich glaube, dass diese Einschätzung auf einer Fehlinterpretation beruht. Kinder sind in der Lage, sich in der Welt recht gut zu orientieren. Sie sind schnell empört, wenn sie ihre Eltern bei einer Lüge
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