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Der Sokrates-Club

Der Sokrates-Club

Titel: Der Sokrates-Club
Autoren: Nathalie Weidenfeld , Julian Nida-Ruemelin
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individuellen menschlichen Identität, die zur Philosophie des Geistes, aber auch zur Handlungstheorie gerechnet wird.
    Das achte Kapitel geht der Frage nach, die seit der Antike möglicherweise die Philosophie am intensivsten beschäftigt hat: » Glück oder: Warum man dem Kuscheldino im Blumentopf mit Gleichmut begegnen muss.«

2. Wahrheit und Wissen oder: Warum ich die Wahrheit sagen und trotzdem lügen kann
    Wir sind in der Gebeleschule, einer traditionsreichen Grundschule in München. Im ersten Stock steht eine steinerne Skulptur – ein kleiner Engel, der auf einer Bulldogge sitzt. Es ist Winter, und der Engel hat eine rote Wollmütze auf und ein paar Schals um seinen Hals gewickelt. Wahrscheinlich ist er so etwas wie der » Fundsachen-Engel«, den die Kinder mit herrenlosen Kleidungsstücken behängen.
    Mit der Rektorin der Gebeleschule, Christine Lorbeer, haben wir vereinbart, insgesamt vier Sitzungen abzuhalten, in denen wir mit zwei zweiten und einer vierten Klasse philosophieren wollen. Wir sind gespannt, wie es laufen wird, schließlich ist es eine Art Experiment: Was passiert, wenn man ein paar Klassen zusammenwirft und außerhalb des regulären Schulbetriebs mit philosophischen Fragen konfrontiert.
    Wir werden von einer der Lehrerinnen, Lucy Engler-Hamm, in einen wunderschön gestalteten Raum geführt, der sich » Weltenwunderland« nennt. Eine Wandseite besteht aus einer riesigen Bibliothek, in der jedoch keine Bücher, sondern große Ordner stehen. Jeder dieser Ordner trägt als Titel ein Datum. Das ganze Jahr findet sich so abgebildet. Wenn man die Ordner öffnet, sind leere, weiße Seiten zu sehen. Eine schöne Metapher dafür, dass die jungen Menschen, die hier ein- und ausgehen, ihr ganzes Leben noch vor sich haben und selbst die Geschichte ihres Leben schreiben müssen. Ein schönes Motto auch für das, was wir vorhaben. Wichtig ist nicht, dass die Kinder bestimmte philosophische Inhalte lernen, sondern ihre eigenen Gedanken entfalten können.
    Die Kinder haben auf dem Boden Platz genommen. Es müssen so an die fünfzig Schülerinnen und Schüler sein.
    Heute geht es um ein großes und wichtiges Thema, nämlich um Wahrheit und Wissen. Wann kann man denn sagen, dass man etwas weiß?
    Ein großer Junge mit einem blonden Pagenkopf meldet sich: » Also, man kann ganz sicher etwas wissen, wenn man es selber getan hat. Wenn ich die Hausaufgaben gemacht hab, weiß ich, dass sie gemacht sind.«
    »Oder wenn ich etwas sehe«, sagt ein kleiner dünner Junge mit gelockten Haaren und großen, blauen Augen. » Wenn ich sehe, dass es draußen schön ist, dann weiß ich das auch.« (Mehr wissen)
    » Ich weiß aber zum Beispiel auch, wie alt ich bin!«, sagt ein Junge in einem gelben T-Shirt.
    Und woher weißt du das?
    Die Kinder schauen verwundert.
    » Das weiß man doch!«, antwortet der Junge.
    » Ich kann doch die Jahre mitzählen, also ich meine, ich war doch selber dabei!«, sagt der kleine Junge mit den gelockten Haaren.
    » Quatsch«, ruft sein Nachbar, » wenn man ein Baby ist, dann kann man nicht zählen. Mein kleiner Bruder, der ist ein Jahr alt und kann noch nicht mal › Spaghetti‹ sagen!«
    Dann meldet sich ein blondes Mädchen mit großen blauen Augen: » Also, jeder hat eine Geburtsurkunde. Und da steht das doch drauf, also muss das doch stimmen!«
    » Ja, aber vielleicht hat da jemand was Falsches reingeschrieben«, sagt ein dunkelhaariger Junge, der neben ihr sitzt. (Mehr wissen)
    Die Kinder denken nach. Langsam begreifen sie, dass die Sache mit der Wahrheit doch nicht so einfach ist, wie zunächst gedacht.
    » Also, ich weiß, was ich gelernt hab«, sagt ein Junge.
    » Ja, aber vielleicht hat die Lehrerin was Falsches gesagt, und dann hast du was Falsches gelernt!«, sagt der Junge im gelben T-Shirt.
    » Aber eins plus eins ist doch zwei, das weiß ich doch!«, antwortet derselbe Junge.
    Jetzt kommt eine schwierige Frage. Was ist, wenn jemand sagt: Ich weiß genau, welche Zahlen nächsten Sonntag im Lotto gezogen werden. Würdet ihr das glauben?
    Die Kinder lachen. Nein, das würden sie nicht glauben.
    » Außer da ist so eine Hexe, die mit einer Kugel wahrsagen kann und so«, sagt ein Mädchen mit einem lila Glitzershirt.
    » Quatsch, Hexen gibt’s doch gar nicht!«, meldet sich ein großer Junge mit einem schwarzen Pulli, auf dem ein Piratenkopf zu sehen ist.
    Und was würdet ihr sagen, wenn derjenige jetzt doch im Lotto gewinnt?
    » Dann war das eben Zufall!«, ruft der Junge im
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