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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition)
Autoren: Jessica Durlacher
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rief ich bestürzt aus.
    In dem Moment tat sie mir zum ersten Mal richtig leid. Um jemanden zu trauern, mit dem man sich ständig gestritten hatte, war bestimmt sehr kompliziert. Die Vergangenheit war Taras Gegner.
    15
     
    Kerzen brannten, und es wurde Mendelssohn gespielt. Im Sitzungssaal des Rathauses von Baden-Baden hatte man ein Porträtfoto von Herman aufgestellt, das ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, und dazu ein Foto von dem Haus, in dem er mit seinen Eltern gewohnt hatte. Versöhnung findet man in der Erinnerung, hatte man darunter geschrieben.
    Für Iezebel und mich wurde rührend gesorgt. Man hatte sogar an Petit Fours gedacht, und ich sah meinen Vater in Gedanken eine ganze Platte davon konfiszieren. Auch Käsekuchen und Linzertorte gab es – wie seine Mutter sie früher gebacken haben musste, ich erinnerte mich nur zu gut an seine Beschreibungen.
    Es ging mir doch zu Herzen, dass Kuchen serviert wurde, den er immer so gern gegessen hatte. Von Mitch hörte ich später, dass Herman bei seinen vielen Besuchen in dieser Stadt (warum, warum nur war ich nie mitgefahren, wenn er hier einen Vortrag hielt?) mit dem Bürgermeister leidenschaftlich über Essen diskutiert hatte.
    Des Lebens von Herman Silverstein wurde in einem kleinen Saal gedacht, in dem sich circa fünfzig Interessierte versammelt hatten, darunter einige Historiker, mit denen mein Vater zusammengearbeitet hatte, und ein Grüppchen älterer, offenbar sehr wohlhabender Damen, die auch Iezebel unbekannt waren.
    Der geringe Zulauf enttäuschte mich, und ich überlegte unwillkürlich, was wohl Tara dazu gesagt hätte. Ich hatte mich zwar damit abgefunden, dass sie nicht dabei war, aber nun plagten mich die Gedanken, die sie für gewöhnlich in aggressivem Ton äußerte. Und die ich dann zu widerlegen versuchte.
    So entfachte denn all die im Grunde so wohltuende Anerkennung des Schlimmen, das geschehen war, in meinem primitiven Herzen auch gleichermaßen Wut. Ich hasste die Schurken und Verräter, auch die toten, und weidete mich insgeheim an meinem Hass. Er war so etwas wie ein persönliches Kleinod, das ich bei mir trug.
    Der Bürgermeister hielt eine reizende Ansprache auf meinen Vater. Ich kämpfte mit aller Macht gegen die Tränen an. Iezebel gab das praktisch sofort auf, und das Schniefen und Schluchzen neben mir gab mir die Kraft standzuhalten. All das, was über Herman gesagt wurde, ließ meinen Zorn schon ein bisschen verrauchen, doch auch nach der Rede vom Leiter des Stadtarchivs, dem Nachfolger desjenigen, mit dem Herman das Gedenkbuch geschrieben hatte, fand ich nicht, dass ich dankbar sein müsste. Das wäre unverhältnismäßig gewesen. Wiedergutmachung gönnte ich niemandem.
    Ich bedankte mich trotzdem beim Redner. Sein Name war Dieter von Felsenrath. Er war seinerzeit ein ganz junger Angestellter gewesen, der meinem Vater bei der Aktensuche im Archiv geholfen hatte. Ein hünenhafter Mann, dieser Dieter von Felsenrath, schon fast ein bisschen unheimlich. Er hatte ein breites Gesicht mit einem merkwürdigen, etwas schiefen Mund. Ich bat ihn um seine Karte und sagte leise, um meine Mutter nicht mit einzubeziehen, dass ich dabei sei, Recherchen über meine Großmutter anzustellen.
    »Ich bin so erschöpft«, flüsterte Iezebel mir kurz danach zu. »Lass uns bloß gehen!«
    Wir machten noch einen kleinen Spaziergang durch die Stadt. Es kam selten vor, dass wir beide zusammen so weit von zu Hause weg waren. Für mich hatte das Ungewohnte der Situation etwas Beklemmendes, wie ein merkwürdiger Traum, in dem ich gefangen war. Iezebel meinte, unterhaltsam sein zu müssen, und das nervte mich. Als hätte ich plötzlich Hermans Seele dazubekommen, mit dem Auftrag, seine Witwe vor allzu weibischem Getue zu behüten. Und so pflaumte ich Iezebel an, obwohl ich nichts lieber wollte, als nett zu ihr zu sein. Nein, mir ist nicht kalt! Herrgott, jetzt sei doch nicht so nervös wegen dem Essen heute Abend!
    Ich hätte gern über Tara geredet, aber dafür war jetzt wohl nicht der geeignete Moment.
    16
     
    Hier war auch Zewa gegangen. Hier hatte sie für Herman, ihren kleinen, dicken Vielfraß, Kuchen gekauft. Sie hatte in schimmernden Kleidern das Theater besucht, war bestimmt mehr als einmal im Auto durch diese imposante Straße gefahren. In dieser Stadt hatte sie später, von Braunhemden ausgebuht, auf die beschmierten Scheiben ihres Ladens gestarrt. Herman war in einer Seitengasse dieser verkehrsreichen, kalten Straße von Hitlerjungen
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