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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs
Autoren: Jack London
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vom Meere gekommen waren. Sie waren weiß wie ihr und schwach wie die kleinen Kinder, wenn die Robben fortgegangen sind und die Jäger mit leeren Händen heimkommen. Ich weiß diese Dinge von den alten Männern und den alten Frauen, denen ihre Väter und Mütter sie erzählt hatten. Diesen merkwürdigen weißen Männern gefielen unsere Gebräuche anfangs nicht, aber sie wurden stark durch die Fische, die sie aßen, und den Tran und wurden übermütig. Und sie bauten sich jeder eine Hütte und nahmen sich die besten unserer Frauen. Und es kamen Kinder. So wurde der geboren, der der Vater des Vaters meines Vaters werden sollte.
    Wie gesagt: ich war anders als mein Volk; denn in mir habe ich das starke flammende Blut der weißen Männer, die vom Meere kamen. Es heißt, daß wir andere Gesetze hatten, ehe diese Männer kamen, aber sie waren wild und streitlustig und kämpften mit unsern Männern, bis keiner mehr mit ihnen zu kämpfen wagte. Da machten sie sich zu Häuptlingen, schafften unsere alten Gesetze ab und gaben uns neue, nach denen der Mann der Sohn seines Vaters und nicht der seiner Mutter war, wie wir es bis dahin gewohnt waren. Sie befahlen auch, daß der erstgeborene Sohn alles haben sollte, was früher seinem Vater gehört hatte, und daß die andern Brüder und Schwestern sich behelfen mußten, wie sie konnten. Auch andere Gesetze gaben sie uns. Sie zeigten uns neue Wege, den Fisch zu fangen und den Bären zu töten, von dem es viele in unsern Wäldern gab, und sie lehrten uns, Vorräte für Hungerzeiten aufzuspeichern. Und diese Dinge waren gut.
    Als sie aber Häuptlinge geworden waren, und es keinen Mann mehr gab, der ihrem Zorn zu begegnen wagte, da kämpften diese fremden weißen Männer miteinander. Und der eine, dessen Blut in mir ist, schleuderte seinen Robbenspieß, daß er den Körper des andern um Armeslänge durchfuhr. Ihre Kinder und Kindeskinder nahmen den Kampf auf, es herrschte großer Haß unter ihnen, und manche dunkle Tat wurde begangen, bis auf meine Zeit, so daß von jeder Familie immer nur einer lebte, um das Blut fortzupflanzen. Von meinem Blut war ich der einzige. Von denen des andern Mannes gab es nur ein Mädchen, das bei seiner Mutter lebte: Unga. Ihr Vater und der meine kehrten eines Nachts nicht vom Fischfang zurück; später aber trieben sie bei Hochwasser an die Küste, und sie hielten sich eng umschlungen.
    Die Leute wunderten sich darüber wegen des alten Hasses zwischen unsern Häusern; und die alten Männer schüttelten die Köpfe und sagten, daß der Kampf fortgesetzt werden würde, wenn sie und ich Kinder bekämen. Das erzählten sie mir als Knabe, bis ich es glaubte und in Unga eine Feindin sah, die die Mutter von Kindern werden sollte, welche mit den meinen kämpften. Tag um Tag dachte ich an diese Dinge, und als ich ein Jüngling wurde, fragte ich, warum es so sein müßte. Und sie antworteten: Wir wissen nicht anders, als daß deine Eltern so taten. Und ich dachte darüber nach, warum die, die kommen sollten, die Kämpfe jener kämpfen sollten, die gegangen waren, und ich konnte keine Gerechtigkeit darin sehen. Aber die Leute sagten, es müsse so sein; und ich war ja nur ein Knabe.
    Und sie sagten, ich müßte eilen, daß mein Blut älter und stärker als das ihre würde. Das war leicht, denn ich war Häuptling, und das Volk sah auf zu mir wegen der Gesetze und Taten meiner Väter und wegen meines Reichtums. Jede Jungfrau wäre gern zu mir gekommen; aber ich fand keine, die nach meinem Sinn war. Und die alten Männer und die Mütter der jungen Mädchen forderten mich auf, mich zu beeilen, denn schon damals boten die Jäger Ungas Mutter große Geschenke, und wenn ihre Kinder früher als die meinen stark wurden, dann mußten die meinen sicher sterben.
    Aber ich fand keine Jungfrau, bis ich eines Abends vom Fischfang heimkehrte. Die Sonne stand niedrig und schien mir plötzlich in die Augen. Der Wind war frisch, und die Kajaks zogen durch die weißen Wogen. Plötzlich kam Ungas Kajak hinter mir her, und sie sah mich an. Ihr schwarzes Haar flatterte wie eine Nachtwolke, und ihre Wangen waren naß von Meerschaum. Wie gesagt, die Sonne schien mir gerade in die Augen, und ich war ein Knabe. Wie es zugehen mochte, weiß ich nicht, aber plötzlich war mir klar, daß dies die Botschaft zwischen Mann und Weib war. Wie sie dahinschoß, sah sie sich zwischen zwei Ruderschlägen um – wie nur Unga sehen konnte – , und wieder fühlte ich, daß dies die Botschaft zwischen Mann und
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