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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs
Autoren: Jack London
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hatte, versank er in träumerische Betrachtung seiner dampfenden Mokassins, wurde aber aus seinen Betrachtungen durch Ruth geweckt, die ihm die Tasse füllte.
    »Gott sei Dank haben wir ja noch eine Menge Tee! Ich hab’ ihn selbst wachsen sehen in Tennessee. Was würde ich jetzt für ein Stück Kuchen geben! Na, mach’ dir nichts draus, Ruth; denn es dauert gar nicht mehr lange, dann brauchst du nicht mehr hungrig in Mokassins herumzulaufen.«
    Als die Frau diese Worte hörte, schüttelte sie die Niedergeschlagenheit ab, und eine große Liebe zu ihrem weißen Herrn und Gebieter leuchtete in ihren Augen auf. Er war der erste Weiße, den sie je gesehen – der erste Mann, den sie je ein Weib besser als ein Lasttier hatte behandeln sehen.
    »Ja, Ruth«, sagte ihr Gatte in dem Kauderwelsch, in dem sie sich allein verständlich machen konnten. »Warte nur, bis wir aus dem Dreck heraus sind. Wir werden das Kanu des weißen Mannes nehmen und nach dem Salzwasser fahren. Ja, schlimmes Wasser, rings Wasser – große Berge, die immer auf und nieder tanzen. Und so groß, so weit, weit fort – du reisen zehn Schlaf, zwanzig Schlaf, vierzig Schlaf« (er zählte die Tage an den Fingern ab), »immer Wasser, schlimmes Wasser. Dann du kommen nach großem Dorf, viele Menschen, gerade wie Moskitos nächsten Sommer. Wigwams, oh, so hoch – zehn, zwanzig Kiefern. Hi – yu Shookum!«
    Er hielt inne, sandte Malemute Kid einen flehentlichen Blick und stellte dann mühselig mittels Zeichensprache die zwanzig Kiefern aufeinander. Malemute Kid lächelte ironisch, aber Ruths Augen standen weit offen vor Verwunderung und Freude; denn sie wußte nicht recht, ob er nicht scherzte, und eine solche Herablassung erfreute ihr armes Frauenherz. »Und dann gehen hinein in ein – einen Kasten und puff! du fahren hoch.« Er warf seine leere Tasse zur Illustration in die Luft, fing sie gewandt auf und rief: »Und piff! du kommen runter. Oh! Große Medizinmänner! Du gehen Fort Yukon, ich gehen Arctic City, fünfundzwanzig Schlaf, lange Leine ganzer Weg – ich fangen eine Leine – ich sagen: ›Hallo, Ruth! Wie geht’s?‹ – und du sagen: ›Das ist mein lieber Mann?‹ und ich sagen: ›Ja.‹ Und du sagen:
    ›Ich nicht können backen gutes Brot, kein Soda mehr‹, dann ich sagen: ›Sieh nach in der Speisekammer unterm Mehl! Auf Wiedersehen!‹ Du sehen nach und finden viel Soda. Die ganze Zeit du Fort Yukon mich Arctic City. Hi – yu Medizinmann!«
    Ruth lächelte so freimütig über das Märchen, daß beide Männer in Lachen ausbrachen. Ein Lärm unter den Hunden machte den Herrlichkeiten des Wunderlandes ein schnelles Ende, und als die knurrenden Gegner getrennt waren, hatte die Frau die Schlitten angeschirrt, und alles war zum Aufbruch bereit. – »Los! Baldy! He! Los!«
    Mason gebrauchte tüchtig die Peitsche, und als die Hunde sich heulend ins Geschirr warfen, brach er mit der Steuerstange den Schlitten los. Ruth folgte mit dem nächsten Gespann, und Malemute Kid, der ihr beim Aufbruch geholfen hatte, bildete den Nachtrab. Dieser starke, rauhe Mann, der imstande war, einen Ochsen mit einem Schlag zu fällen, brachte es nicht übers Herz, die armen Tiere zu schlagen, sondern war freundlich zu ihnen, wie ein Hundetreiber selten ist – ja, er weinte fast über ihr Elend.
    »So, los jetzt, ihren armen, wundfüßigen Viecher!« murmelte er nach mehreren vergeblichen Versuchen, den Schlitten in Gang zu bringen; aber schließlich wurde seine Geduld belohnt, und sie hasteten ihren Genossen nach.
    Es wurde nicht mehr gesprochen; die Mühen der Reise erlaubten eine solche Kraftverschwendung nicht. Und von allen tötenden Mühen ist die Nordlandfahrt die schlimmste. Glücklich der Mann, der sich einen Tagesmarsch durch Schweigen erkaufen kann, und das selbst auf gebahnten Wegen.
    Und von allen unsäglichen Mühen ist das Wegebahnen die schlimmste. Bei jedem Schritt sinken die großen, breiten Schneeschuhe ein, daß der Schnee bis zum Knie reicht. Dann muß der Fuß gehoben, senkrecht gehoben werden, denn eine Abweichung von auch nur dem Bruchteil eines Zolls bedeutet sicheren Sturz, der Schneeschuh muß bis ganz über die Oberfläche gehoben werden; dann vorwärts und hinunter, worauf der andere Fuß ungefähr eine Elle senkrecht gehoben werden muß. Wer es zum erstenmal versucht, wird es, wenn er seine Schuhe glücklich auseinanderhalten kann, so daß er nicht über seine eigenen Beine fällt, nach hundert Ellen erschöpft aufgeben. Wer einen
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