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Der Sohn des Apothekers (German Edition)

Der Sohn des Apothekers (German Edition)

Titel: Der Sohn des Apothekers (German Edition)
Autoren: Ulrich Hefner
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kleinen Büschen
im Vorgarten seines Reihenhauses in Hannover nahe der Universität gewohnt war.
Ihn fröstelte, denn es war keine friedvolle Stille, es war das Schweigen eines
Friedhofs.
    Er wusste, dass eine schwere Aufgabe vor ihm lag, aber er hatte
nicht vor, einfach aufzugeben, so wie es damals die Polizei getan hatte. Er
hatte sich in das Foto verliebt, das in der alten Akte auf der ersten Seite
eingeheftet worden war. Das blonde Mädchen auf diesem Bild hatte ihm den Kopf
verdreht. Immer wenn er nicht darauf achtete, stahl es sich in sein Gehirn und
flüsterte ihm zu. Flehentlich und leise.
    »Hilf mir!«
    Justin Belfort schloss die Wagentür und drehte sich langsam um.
Der Ort war wie ausgestorben. Noch nicht einmal in dem Biergarten des großen
Gasthauses vis-à-vis des Dorfplatzes, das sich an das Nachbargebäude schmiegte,
sah man eine Menschenseele. Zum Klosterkrug stand auf einem
schmiedeeisernen Schild über dem Eingang. Hier in diesem Ort hatte sich die
Spur der Mädchen verloren. Niemand hatte je wieder etwas von ihnen gehört.
    Die Polizei hatte Ermittlungen eingeleitet und sogar einen
Verdächtigen festgenommen. Doch der vermeintliche Täter, ein debiler Junge aus
dem Dorf, war kurz danach mangels Beweisen aus der Haft entlassen worden. Das
einzige Indiz, das damals für eine Täterschaft sprach, war ein Kettchen, das
zweifelsfrei einem der Mädchen gehörte und das der junge Mann – es sollte sich
um den Sohn eines Apothekers gehandelt haben – in seinem Zimmer versteckt hatte
und wie ein Schatz behütete.
    Justin Belfort war Journalist. Das hannoversche Magazin Direkt hatte ihn wegen seiner im Volontariat überzeugenden Leistungen bei
Ausbildungsabschluss fest angestellt, und inzwischen war er bekannt wegen
seiner mehrseitigen, gut recherchierten Reportagen. Vor einigen Tagen hatte
eine neue Entwicklung im Fall dieser beiden verschwundenen Mädchen ihn zu dem
Entschluss gebracht, über ungeklärte Fälle vermisster Verbrechensopfer zu
berichten, aber er hätte sich niemals träumen lassen, wie nahe ihm diese
Reportage gehen würde. Die beiden Radfahrerinnen waren im Spätsommer des Jahres
1999 auf ihrem Trip von Hannover an die Nordseeküste spurlos verschwunden und
nach bisherigen Erkenntnissen wohl einem Verbrechen zum Opfer gefallen.
Besonders tragisch fand er, dass die Reisekosten ein Geschenk der Eltern zum
Abitur gewesen waren. Die Spur der beiden hatte sich damals in dem kleinen Ort
am Steinhuder Meer, zwischen Neustadt und Mardorf, verloren. Die Fahrräder
hatte man knapp einen Kilometer vom Ort entfernt gefunden
    Damals war der Fall durch alle Gazetten gegangen, Tageszeitungen,
Magazine, sogar das Fernsehen hatte in der Landesschau darüber berichtet. Nach
der Verhaftung des debilen Tatverdächtigen, bei dem das Kettchen gefunden
worden war, waren die Diskussionen über den Umgang mit geistig nicht
zurechnungsfähigen Tätern aufgeflammt. Größen aus Politik und Justiz hatten
Stellung bezogen. Doch manchen, die sich vehement für eine Verschärfung des Unterbringungsgesetzes
eingesetzt hatten, war sehr schnell der Wind aus den Segeln genommen worden,
als Tage später der Rucksack eines Opfers auf einem knapp vierzig Kilometer
entfernten Autobahnrastplatz an der A 7 unweit der Abfahrt Schwarmstedt
aufgefunden worden war. Ein Unbekannter hatte am Rucksack eine DNA-Spur
hinterlassen. Damit stürzte das fragile Konstrukt aus Indizien und Mutmaßungen
gegen den Sohn des Apothekers in sich zusammen und er wurde wieder auf freien
Fuß gesetzt.
    Vor wenigen Tagen war dann unweit von Flensburg eine
abgemagerte und schwer verletzte junge Frau aufgefunden worden, die vermutlich
aus einem fahrenden Auto gestoßen worden war. Sie lag im Koma und die Ärzte
befürchteten angesichts ihrer Verletzungen das Schlimmste. Sie hatte keinerlei
Papiere bei sich und weder die Überprüfung der Vermisstenfälle über das
Bundeskriminalamt noch überregionale Presseartikel hatten zur Identifikation
beitragen können. Erst eine DNA-Analyse hatte die überraschende Wende gebracht.
Die junge Frau, die an der B 200 unweit von Wassersleben mehr tot als
lebendig aufgegriffen worden war, war jene Tanja Schaffrath aus Minden, die zusammen
mit ihrer Freundin vor drei Jahren am Steinhuder Meer auf einer Radtour spurlos
verschwunden war.
    Doch wo war Melanie, ihre damalige Begleiterin, geblieben? War
sie vielleicht sogar noch am Leben? Was war bei diesem kleinen Ort namens
Tennweide am Steinhuder Meer vor drei Jahren
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