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Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze

Titel: Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
Autoren: Garth Nix
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was es war. Eine Seepflanze. Ein dicker, grüner Strang aus Seetang mit großen Luftblasen, die ihn an der Wasseroberfläche hielten.
    Milla hob einen Strang davon hoch. „Das ist eine andere Form des Seetangs, den wir unter dem Eis ernten. Ich glaube nicht, dass er essbar ist.“
    „Bestimmt nicht“, sagte Tal und verzog angewidert das Gesicht. Er schob den Tang weg. Er war schleimig, roch schlecht – und es gab noch eine Menge mehr davon, die es watend zu durchqueren galt.
    Als Tal den Tang wegschob, sah er ein Gesicht im Wasser. Er zuckte beinahe zusammen, denn er nahm an, jemand würde hinter ihm aus dem Wasser kriechen. Dann wurde ihm klar, wer das war.
    Es war sein eigenes Spiegelbild, allerdings völlig verändert seit dem letzten Mal, als er in einen richtigen Spiegel gesehen hatte. Er erkannte sich beinahe selbst nicht mehr. Es waren nur wenige Wochen vergangen und doch hatte sich so viel verändert.
    Der junge Erwählte mit dem widerspenstigen braunen Haar und dem schiefen Lächeln war verschwunden. Stattdessen sah er jemanden, den er einst als Wilden bezeichnet hätte. Sein Haar war völlig zerzaust und mitten hindurch hatte es einen hellgrünen Strich – das Ergebnis einer Begegnung mit einem Monster in Aenir. Sein Gesicht schien permanent angespannt zu sein, eine stirnrunzelnde Grimasse. Und er sah um einiges älter aus als vierzehn Jahre.
    „Los“, sagte Milla.
    Tal wurde gewahr, dass er sein Spiegelbild anstarrte. Er sah zu Milla hinüber und bemerkte, dass auch sie sich verändert hatte. Sie hatte ihre vorübergehende Verkleidung – die gelbe Robe einer älteren Erwählten – abgelegt und trug jetzt wieder ihre Eiscarl-Felle und die Panzerung aus Selski-Haut. Die weißblonden Haare hatte sie noch immer zurückgebunden. Doch etwas hatte sich verändert.
    Es dauerte einen Moment, bis er herausfand, was es war: Die Veränderung lag in ihren grauen Augen. Die wilde Entschlossenheit war verschwunden, so als wäre ein Funken erloschen.
    Erst jetzt wurde Tal klar, dass sie sich wirklich dem Eis überlassen würde. Als er gedacht hatte, er würde durch Annehmen der beiden Sturmhirten als Geistschatten ihr Leben – und sein eigenes – retten, hatte er in Wirklichkeit ihr Schicksal besiegelt. Sie würde sich wirklich das Leben nehmen, weil sie ihren eigenen Schatten verloren und stattdessen einen Geistschatten erhalten hatte.
    „Komm schon!“, wiederholte Milla. Sie begann durch das Wasser davonzuwaten, wobei sie immer wieder Pausen machte, um besonders störrische Stränge des Seetangs wegzuschieben.
    Tal folgte ihr um einiges langsamer. Er fühlte sich plötzlich unglaublich müde. Alles schien viel zu schwierig zu sein. Was auch immer er unternahm, es machte die Dinge nur schlimmer. Er wusste jetzt, dass er sich um Milla kümmern musste, dass er ihr Überleben sichern musste. Die einzige Möglichkeit, die ihm dazu einfiel, war, sie am Verlassen des Schlosses zu hindern, was natürlich vollkommen gegen ihren Willen sein würde. Und sich gegen Millas Willen zu stellen, war noch nie eine gute Idee gewesen.
    Vielleicht würde Ebbitt etwas einfallen, dachte Tal müde.
    Ebbitt. Sie mussten Ebbitt finden – wo auch immer er sich befand – bevor die Wachen sie fingen.
    Oder bevor sie Ebbitt schnappten, dachte Tal plötzlich. Das hatte er bislang noch gar nicht in Betracht gezogen.
    Er stöhnte. Milla, Adras und Odris blieben stehen und sahen ihn an.
    „Was ist?“, fragte Milla. Sie hatte bereits in einer blitzschnellen Bewegung ihr Knochenmesser gezogen.
    Tal schüttelte den Kopf.
    „Nichts. Mir wurde nur gerade klar, wie dumm das alles ist. Wir suchen Ebbitt, wissen aber nicht einmal, was wir unternehmen sollen, wenn wir ihn denn gefunden haben. Überall sind Wachen, ganz abgesehen von Sushin, was im Namen des Lichtes er auch gerade sein mag. Außerdem stehen wir in einem Fischteich, ich habe keine einzige Sache richtig gemacht und verstehe nicht, was überhaupt passiert…“
    Seine Stimme verstummte, als Milla ihn ansah. Es lag nicht in der Art der Eiscarls, sich zu beschweren, das wusste er. Aber es war die Art der Erwählten. Erwählte beschwerten sich über Untervolk-Diener, über die Qualität des Essens, über ihre Kleider – über schlichtweg alles.
    Über allerhand bedeutungslose Dinge, dachte Tal. Wollte er wirklich so sein?
    Er sah nach unten zu seinem Spiegelbild und versuchte, sich ein Lächeln abzunötigen. Es kam nur langsam zustande und aus irgendeinem ihm unbekannten Grund hatte
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