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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig
Autoren: Katja Hirschel
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Gummistiefel ausgezogen hatte, nur noch auf Strümpfen vor ihr stand, mit einem Stock auf einen Busch einschlug und laut »Huja, huja!« rief. So waren Jungen nun einmal. Die wussten halt nicht, wohin mit ihrer Energie. Unten am Bach angekommen, winkte ihr Wolfgang auch schon zu und deutete auf einen hübschen kleinen Vogel mit gelber Brust.
    »Schau mal, eine Gebirgsstelze!«
    »Mei, is der liab!«
    Anni machte es Wolfgang gleich und ging in die Hocke, um das Tier nicht zu erschrecken.
    »Was habt ihr da?«
    Die kleinen Freundinnen Vroni und Hannah, beide fünf Jahre alt, hatten sich dazugesellt und blickten neugierig auf den Bach.
    »Psssst, leise! Da ist ein kleiner Vogel, den wir nicht verscheuchen wollen. Seht ihr? Dort am Ufer auf dem großen Stein.«
    »Wo? Wo?«, Hannah hatte offensichtlich mit den Angaben ein paar Schwierigkeiten. »Ich seh nix!«
    »Doch da! Da!«
    Vroni packte den Kopf ihrer Freundin, um ihn in die richtige Richtung zu drehen.
    »Ach da! Oh ist der süüüüüüüüüüüüüüüüüüß!«
    Es war nicht ganz klar, was der kleinen Gebirgsstelze mehr Grund gab, aufzufliegen und mit einem empörten »Zitzitt« in den nahen Büschen zu verschwinden. Ob es nun das begeistert gequietschte »süß« von Hannah oder das triumphierende Gebrüll von Franzi, »Die Hex, die Hex is tot!«, oder Erikas entsetzter Aufschrei war, blieb jedoch in Anbetracht der sich nun überschlagenden Ereignisse unerheblich. Wolfgang sprang sofort auf und lief, Anni dicht an seinen Fersen, um die Biegung zu Erika, die wie versteinert auf eine Stelle vor sich starrte. Der Bach stürzte hier über Felsbrocken etliche Meter tief in ein natürliches Becken und war daher der erste Ort, an dem immer jemand ein besonderes Auge auf die Kinder werfen musste. Wolfgang erschrak.
    »Oh mein Gott, Erika. Einer der Buben? Ich hab’s gewusst! Das damische Geländer ist viel zu niedrig!«
    »Nein!«, mehr konnte sie nicht sagen. Anni drängte vorbei, ging an die Absperrung und blickte in die Tiefe.
    »Da liegt oana! I sieg aba ned wer?!«
    »Wart, geh zur Seite, ich steig da mal runter.«
    Wolfgang war neben sie getreten.
    »Geh doch lieber …«, Erika schien ihre Stimme wiedergefunden zu haben, wurde aber gleich von Wolfgang unterbrochen.
    »Nein, nein, so bin ich schneller.« Behände kletterte Wolfgang über das Geländer, hielt kurz inne und blickte die Kinder mahnend an. »Dass mir das ja keiner nachmacht! Verstanden?«, sagte er noch und machte sich sofort an den Abstieg. Gespannt beobachtete die kleine Gruppe, wie er an den Felsen hinunterkletterte.
    »Kinder, alle einen Schritt zurück! Nicht so nah an den Rand!«, Erika war offensichtlich wieder zu sich gekommen.
    »Die Hex, die Hex is tot!«
    Franzi hüpfte aufgeregt auf und ab.
    »Blödi! Das is nich die Hex!«
    Jennifer verdrehte die Augen. Jungs waren einfach zu dämlich.
    »Das da is das Rotkäppchen!«, stellte sie fest und fügte belehrend hinzu: »Siehste nich die rote Mütze und den Umhang?«
    »Nee, des is die Hex!«
    Tränen der Wut stiegen in seine Augen.
    »Die is bös und jetzt tot!«
    Heißer Zorn erfasste Franzi. Was bildete sich diese neunmalkluge Gans eigentlich ein? Nur weil sie ein halbes Jahr älter war? Oh, wie er sie hasste. Sie musste bestraft werden. Franzi wollte Anlauf nehmen und dieses eingebildete Mädchen schubsen. Vielleicht gelang es ihm ja, sie zu der im Wasser treibenden Person zu stoßen, aber bevor er auch nur einen Schritt machen konnte, hatte Anni ihn auch schon an der Kapuze gepackt.
    »Ihr zwoa seid’s jetzt staad!«, knurrte sie.
    »Erika, Anni«, ertönte Wolfgangs Stimme. »Ich glaub, wir müssen sofort die Polizei rufen. Hier ist ein Unglück geschehen!«

8
    »Na, Claudi, alles klar?«
    Steffi fand die Kollegin auf einer schattigen Bank vor der Polizeistation sitzend und eine ihrer zwei Zigaretten pro Tag rauchen.
    »Wie man’s nimmt.«
    Claudia nahm noch einen tiefen Zug, bevor sie den Stummel auf den Boden warf und mit der Ferse ausdrückte.
    »Der Fischkopp is wohl ziemlich anstrengend, was?«, Steffis Neugier war ihr ins Gesicht geschrieben.
    »Naa, passt scho!«
    Die Kommissarin begann zu grinsen und spitzte ihre Lippen, um dann in astreinem Hochdeutsch zu flöten: »Ich habe heute sehr viel an meiner Aussprache gearbeitet. Ich würde sogar sagen, sie ist mittlerweile perfekt.«
    Die Frauen kicherten.
    »Wo is er denn jetzt?«
    »Oh, der Herr Kollege wurde ausgesandt, um für unser leibliches Wohl zu sorgen. Ich habe ihn
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