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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig
Autoren: Katja Hirschel
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dass sie auf die weite Entfernung wegen Kurzsichtigkeit, vermutlich gepaart mit Nachtblindheit, nicht allzu gut sehen konnte.
    »Dann wissen Sie vermutlich auch nicht das Kennzeichen, oder? Können Sie sich denn an die Farbe erinnern?«
    »Mei, Farbe, was weiß denn ich. Dunkel war’s halt. Vielleicht blau oder schwarz …«
    Eine Fahrradklingel ertönte. Steffi kam neben ihnen zum Stehen.
    »Na, war ich nicht schnell wie ein Blitz?«
    »Warum sind Sie denn mit dem Radl hier?«
    »Herr Maus, das haben wir doch schon so oft durchdiskutiert. Bei diesen kurzen Entfernungen lohnt es sich nicht, Benzin zu verschwenden.«
    Sie lehnte ihr Gefährt gegen den Gartenzaun, ging in die Hocke und löste die Klammer, die ihre Hose daran hinderte, in die Kette zu kommen und schmutzig zu werden.
    »Sie Fräulein!«, die Nachbarin – etwas ungehalten wegen der Unterbrechung ihres doch so ertragreichen Gesprächs – tippte Steffi auf die Schulter. »Da können Sie’s aber nicht stehen lassen.«
    Freundlich lächelnd – Maus bewunderte wie schon so oft ihre Selbstbeherrschung – richtete sich Steffi auf, steckte die Klammer in die Tasche und entgegnete: »Ich denke aber schon. Der Gehweg ist für jede Mutter mit Kinderwagen passierbar und außerdem handelt es sich hier um ein Einsatzfahrzeug.«
    »Aber …«
    »Frau …?«
    »Mein Name ist Sofia Wieland, Klempnermeisterwitwe, und ich wohne seit 49 Jahren hier in dem Haus Nummer 98 und das ist mein Gartenzaun und … «
    »Frau Wieland …«, Maus hatte jetzt langsam genug, »… wir danken Ihnen für die Bereitschaft, uns bei unserer Arbeit zu unterstützen und möchten Sie bitten, ein Auge sowohl auf das Rad als auch auf meinen Wagen zu haben. Sie haben mir ja selbst erzählt, wie gefährlich diese Gegend hier ist. Vielen Dank und bis später.«
    Als der Kommissar und Steffi kurz darauf vor der Haustür Bauerstraße 100 standen und klingelten, konnten sie aus den Augenwinkeln ein gelbgrünes Kopftuch sehen, dessen Besitzerin sich abmühte über die hohe Hecke, die das Grundstück umgab, zu blicken.

11
    Wie zu erwarten, durchlebte Sandra Blum die ganze Palette der Gefühle, die die schreckliche Nachricht des Todes ihrer Tochter nun einmal mit sich brachte. Der anfänglichen Fassungslosigkeit folgte der Griff ans Herz, dann die Erschütterung und jetzt war sie auf ihr Sofa gesackt und weinte bitterlich. Vorgänge wie diese machten es Kommissar Maus manchmal schwer, in seiner Arbeit einen Sinn zu sehen, denn mit menschlichem Leid und besonders mit den Tränen einer Frau konnte er nicht allzu gut umgehen. Hilflos sah er auf Frau Blum und war überaus froh, dass Steffi es jetzt übernahm, die verzweifelte Mutter zu beruhigen. Er blickte sich um. Eine obligatorische Schrankwand beherrschte den Raum, wie das bei so vielen deutschen Wohnzimmern der Fall war. Hinter der Glasscheibe konnte er das gute Porzellangeschirr und anderen Nippes sehen. An der Wand hinter Frau Blum hingen in exakter Ausrichtung und Größenfolge einige Familienfotos. Sie zeigten in verschiedenen Posen und Altersstadien einen Jungen und ein Mädchen. Kommunionsbilder, Porträts vom Fotografen, Schulfotos, aber auch Schnappschüsse aus dem Urlaub. Auffallend war jedoch, dass es sich nur um die Kinder handelte. Weder Frau Blum, noch der – oder um Frau Wieland Glauben zu schenken – die Väter waren darauf zu sehen. Die Terrassentür stand weit offen. Um der Mutter beziehungsweise deren Schmerz noch etwas mehr Zeit zu geben, trat er hinaus und blickte in einen kleinen, ordentlichen Garten. Hübsch! Frühlingsblumen wurden von einigen Bienen und einer dicken Hummel umflogen, ein Paar Gartenhandschuhe und eine kleine Harke wiesen darauf hin, womit Frau Blum vor ihrem Eintreffen beschäftigt war. Blum war wirklich ein passender Name für jemanden mit so einem grünen Daumen. Eine dicke schwarze Katze spähte unter einem der Büsche hervor. Das war wohl Mohrli. Genauso neugierig wie seine Besitzerin. Ob die sich allabendlich zu einem Informationsaustausch bei einer Schale Milch trafen? Maus drehte sich um und trat wieder ins Wohnzimmer.
    »Soll ich uns mal einen Tee machen, Frau Blum?«, fragte Steffi in leisem Ton. Obwohl die Angesprochene nicht reagierte, stand sie auf und nickte Maus zu. Das war das Zeichen, dass er es nun wagen konnte, sie zu befragen. Er setzte sich ihr gegenüber auf einen zum Sofa passenden Sessel mit Zierkissen, die zwangsläufig verhinderten, es sich allzu gemütlich zu machen, und zog seinen
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