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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler
Autoren: Donato Carrisi
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gewährleistetet, dass das
Opfer regelmäßig dazu greift.«
    »Und glaubt man ihren Freunden, war Lara in letzter Zeit ständig
müde.« Clemente war wie elektrisiert. Das warf ein vollkommen neues Licht auf
die Sache, aber noch durfte er Marcus nicht davon in Kenntnis setzen.
    »Das Ganze hat sich nach und nach abgespielt, ohne jede Eile«, fuhr
Marcus fort. »Was beweist, dass der Entführer schon vor der besagten Nacht hier
gewesen ist. Zusammen mit den Kleidungsstücken und dem Handy hat er auch den
Zucker mit dem Betäubungsmittel verschwinden lassen.«
    »Aber er hat die Türkette vergessen!«, fügte Clemente hinzu. Sie war
das störende Detail, das das Theoriegebäude der Polizei einstürzen ließ. »Aber
wie ist er reingekommen, und vor allem: Wie sind sie wieder rausgekommen?«
    Marcus sah sich erneut um. »Wo sind wir hier?« Rom war die größte
»bewohnte« Ausgrabungsstätte der Welt. Die Stadt hatte sich Schicht für Schicht
entwickelt, und man musste nur wenige Meter tief graben, um auf Spuren früherer
Epochen und Zivilisationen zu stoßen. Doch Marcus wusste, dass sich das Leben
auch an der Oberfläche in Schichten ablagert. Jeder Ort erzählte mehrere
Geschichten, erfüllte mehr als nur einen Zweck. »Was ist das für ein Gebäude?
Nicht heute, sondern ursprünglich: Du hast erwähnt, dass es aus dem achtzehnten
Jahrhundert stammt?«
    »Es war einer von mehreren Wohnsitzen der Marchesi Costaldi.«
    »Ja. Die Adligen haben die oberen Stockwerke bewohnt, während hier
unten Läden, Lager und Stallungen untergebracht waren.« Marcus berührte die
Narbe an seiner linken Schläfe. Er wusste nicht genau, woher dieses Wissen stammte – wie auch? Viele Informationen waren ihm für immer entfallen. Andere kehrten
plötzlich zurück, wobei sie stets die unangenehme Frage nach ihrem Ursprung
aufwarfen. In seinem Kopf waren Dinge gespeichert, auf die er leider keinen
Zugriff mehr hatte. Doch manchmal tauchten sie wieder auf und riefen ihm diesen
nebulösen Ort in Erinnerung, aber auch die Erkenntnis, dass er ihn niemals
wiederfinden würde.
    »Du hast recht«, sagte Clemente. »Das Gebäude ist lange Zeit
unverändert geblieben. Erst vor etwa zehn Jahren ist es in den Besitz der
Universität übergegangen, und die hat es dann in ein Studentenwohnheim
umgewandelt.«
    Marcus kniete sich hin. Das Parkett war aus massivem, unbearbeitetem
Holz, die Fugen waren schmal. Nein, hier nicht!, dachte er. Ohne sich
entmutigen zu lassen, ging er zum Bad hinüber, gefolgt von Clemente.
    Er nahm einen der Eimer aus dem Besenschrank, stellte ihn unter die
Dusche und füllte ihn zur Hälfte mit Wasser. Dann trat er einen Schritt zurück.
Clemente stand hinter ihm und verstand nach wie vor gar nichts.
    Marcus neigte den Eimer, sodass sich das Wasser auf den Fliesenboden
ergoss. Zu ihren Füßen bildete sich eine Pfütze. Sie starrten abwartend darauf.
    Nach einigen Sekunden verschwand das Wasser.
    Wie bei dem Zaubertrick, bei dem die Assistentin aus einer
verschlossenen Kiste verschwindet. Nur dass es diesmal eine Erklärung gab.
    Das Wasser war in den Untergrund gesickert.
    Zwischen zwei Fliesen bildeten sich Luftbläschen, die irgendwann ein
exaktes Quadrat ergaben. Jede Seite maß etwa einen Meter.
    Marcus ging auf die Knie und fuhr mit den Fingern über die Fliesen.
Er tastete nach einem Spalt und glaubte, auf etwas gestoßen zu sein. Er stand
auf und sah sich suchend um. Von einer der Arbeitsflächen nahm er eine Schere.
Damit ließ sich das Fliesenviereck anheben. Eine Falltür!
    »Warte, ich helfe dir!«, sagte Clemente.
    Sie klappten die Tür auf und entdeckten eine alte Steintreppe, die
mehrere Meter tief in den Keller führte.
    »Das ist der Weg, den der Eindringling genommen hat!«, verkündete
Marcus. »Und zwar mindestens zweimal: Als er die Wohnung betreten und als er
sie zusammen mit Lara verlassen hat.« Marcus griff zu der kleinen Taschenlampe,
die er immer dabeihatte, schaltete sie ein und richtete sie auf die Öffnung.
    »Willst du da runtergehen?«
    Er drehte sich zu Clemente um. »Wieso fragst du? Habe ich eine
Wahl?«
    Mit der Taschenlampe in der Hand stieg Marcus die Treppe
hinab. Unten angekommen, fand er sich in einem Tunnel wieder, der unter dem
Haus hindurchführte und sich in zwei entgegengesetzten Richtungen verlor. Ein
echter unterirdischer Gang. Man konnte nur nicht sagen, wohin er führte.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Clemente, der oben geblieben war.
    »Ja«, sagte Marcus lakonisch.
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