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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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verfolgen; warum sie immer wieder diesen entsetzlichen Krisen zum Opfer fiel. Sie glaubte, dass sie mit ihrer Tat eine Blutschuld über sich gebracht hatte.
    Ich zwang mich dazu aufzustehen. »Es ist kalt hier. Lasst mich das Kohlenbecken einschüren.«
    »Ja! Warum nicht? Entfach das Feuer. Oder, besser noch: Hol die Fackeln und setz die ganze Burg in Brand. Das wird ein Vorgeschmack dessen sein, was uns in der Hölle erwartet.« Sie begann, im Gemach auf und ab zu schreiten. »Gott im Himmel, was kann ich tun? Wie kann ich dich schützen?« Sie wirbelte herum. Ich erstarrte, machte mich schon auf das Schlimmste gefasst. Doch sie begann nicht zu kreischen, zu toben oder sich selbst zu zerkratzen, wie das schon einmal geschehen war. Stattdessen griff sie in die Tasche ihrer Robe und schleuderte mir ein zerknülltes Stück Pergament entgegen. Ich hob es vom Boden auf und stellte mich in den Lichtschein der Kerze. Mit stockendem Atem las ich den Inhalt. Stille breitete sich aus, nur durchbrochen vom Pfeifen des Windes draußen. Der Brief war von König Enrique. Seine Gemahlin, Königin Juana, hatte einer Tochter das Leben geschenkt. Sie hatten das Kind nach seiner Mutter Joanna getauft.
    Mit wieder normaler Stimme sagte meine Mutter: »Enrique hat das Unmögliche vollbracht. Er hat einen Erben.«
    Ich sah verwirrt auf. »Aber das ist doch sicher ein Grund zum Feiern.«
    Sie lachte. »O ja, eine Feier wird es geben! Sie werden über meine Abdankung jubeln. Alles, wofür ich gekämpft habe, ist verloren; ich habe keine Krone, keinen Hof; dein Bruder Alfonso wird enterbt. Und sie werden kommen. Sie werden Alfonso und dich fortbringen. Sie werden mich allein zurücklassen, damit ich, vergessen von der Welt, langsam verrotte.«
    »Mama, das ist nicht wahr. Dieser Brief verkündet doch nur die Geburt des Kindes. Darin steht nichts darüber, dass wir irgendwohin müssen. Ihr seid nur überreizt. Kommt, lasst uns zusammen Trost suchen.«
    Ich steckte den Brief ein und wandte mich zu ihrer Gebetsbank. Das Beten war eine Freude, die sie mir in meiner frühen Kindheit nahegebracht hatte, ein Ritual, das wir liebten und in Ehren hielten. Jeden Abend sprachen wir gemeinsam unsere Gebete.
    Schon streckte ich die Hand nach der Perlmuttschachtel aus, als sie sagte: »Nein, keine Gebete mehr. Gott hört mir nicht mehr zu.«
    Ich erschrak. »Das … das ist Gotteslästerung. Gott hört immer zu.« Doch in diesem Moment klangen meine Worte lahm, sogar in meinen Ohren, ohne jede Überzeugung, und das ängstigte mich. Plötzlich spürte ich, wie mich das Gewicht von Dingen, von denen ich so gut wie keinen Begriff hatte, niederdrückte und eine Kluft zwischen uns schuf. Fast hätte ich laut nach Luft geschnappt, als ein schüchternes Klopfen von der Tür herüberdrang. Es war Elvira. Einen Trinkkelch in der Hand, stand sie auf der Schwelle und bedachte mich mit einem fragenden Blick, als ich ihn ihr abnahm. Dann drehte ich mich zu meiner Mutter um. Sie war zum Bett zurückgewichen und beobachtete mich. »Ah«, sagte sie, »mein Vergessen ist gekommen.«
    »Es ist ein Trank, der Euch einschlafen hilft. Mama, Ihr müsst jetzt ruhen.« Ich trat zu ihr und reichte ihr den Kelch. Sie wehrte sich nicht. Gehorsam leerte sie ihn und legte sich auf das zerwühlte Laken. Sie wirkte so alt, mit Augen, die viel zu groß für das hohlwangige Gesicht waren, und Falten, die sich um ihren einst so weichen Mund herum in die Haut gegraben hatten. Dabei war sie erst dreiunddreißig Jahre alt, immer noch eine junge Frau, doch in diesem Moment sah sie aus, als hätte sie schon tausend Jahre in dieser einsamen Festung gehaust.
    »Ruht jetzt«, redete ich ihr zu. »Ich bin bei Euch und werde Euch nicht verlassen. Ruht, und alles wird gut.«
    Ihre Lider flatterten. Mit leiser Stimme begann ich zu singen. Es war ein Schlaflied, das jedes Kind kannte. » Duerme, pequeña mía; duerme feliz. Los lobos aúllan fuera, pero aquí me tienes a mí . Schlafe, mein Kleines, schlafe sanft. Draußen heulen die Wölfe, aber hier drinnen bin ich bei dir.«
    Die Augen fielen ihr zu. Einmal zuckte sie noch, doch der Trank wirkte bereits. Sie murmelte etwas. Ich beugte mich ganz nah über ihren Mund.
    »Ich habe es für euch getan«, flüsterte sie. »Für dich und Alfonso. Ich habe Luna umgebracht, um euch zu retten.«
    Regungslos saß ich an ihrer Seite, wieder zurückversetzt in jene Nacht vor so langer Zeit, als wir aus Valladolid geflohen waren. Ich hatte nie über die
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