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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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Ereignisse nachgedacht, die zu unserem Exil geführt hatten, doch jetzt bekam ich eine Ahnung von dem schrecklichen Geheimnis, das die Seele meiner Mutter jeden Tag aufs Neue zerriss.
    Ich sah ihr beim Schlafen zu. Ich wollte für sie beten. Ganz gewiss hatte sie unrecht. Gott hörte uns immer zu, vor allem in unseren dunkelsten Stunden. Doch statt mich an Ihn zu wenden, grübelte ich darüber nach, ob vielleicht auch für mich irgendwann ein Tag kommen mochte, an dem ich zu einer solchen Tat getrieben wurde, an dem ich dazu gezwungen sein würde, das Undenkbare zu tun, um danach bis in alle Ewigkeit von meinen Dämonen verfolgt zu werden.
    Beatriz wartete vor der Tür. Als ich herauskam, stand sie auf; mein Bruder leistete ihr Gesellschaft.
    »Ich habe gehört, dass es Mama nicht gut geht«, sagte er. »Ist sie …?«
    Ich nickte. »Es war schlimm. Wir müssen sie ablenken, immer in ihrer Nähe sein. Sie braucht uns jetzt.«
    »Natürlich. Was immer du sagst«, meinte er. Doch ich wusste, dass er sich lieber von ihr fernhalten und sich mit seinen Waffen und Pferden beschäftigen würde. Alfonso hatte nie verstanden, warum unsere Mutter dieses Verhalten zeigte, warum ihre innigen Umarmungen und ihre Fröhlichkeit von einem Moment auf den anderen in Raserei umschlagen konnten, so wild wie die Stürme, die im Winter über die Ebene heulten. Immer hatte ich seine Angst vor ihr gespürt und mein Möglichstes getan, um ihn vor ihren Anfällen zu schützen. Als er sich nach einem unbeholfenen Kuss auf meine Wange entfernte und die Treppe hinunter ins Freie lief, stellte ich mich Beatriz’ forschendem Blick. Der zerknüllte Brief lag in meiner Tasche wie ein Stein.
    Sie werden kommen. Sie werden Alfonso und dich fortbringen.
    Obwohl alles in mir sich dagegen sträubte, war mir klar, dass sich diese Prophezeiung bewahrheiten konnte.
    Wir mussten Vorbereitungen treffen.

3
    Wie um meine Aufregung Lügen zu strafen, vergingen die folgenden Tage ohne besondere Vorfälle. Ich verbarg den Brief des Königs in einer Truhe in meinem Gemach. Natürlich erkundigte sich Beatriz in einem fort danach, bis ich die Fragerei nicht mehr aushielt und sie ihn lesen ließ. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben verschlug es ihr die Sprache. Völlig verdutzt starrte sie mich an. Ich ermunterte sie nicht, ihre Meinung zu äußern – zu sehr war ich mit meinen eigenen düsteren Vorahnungen beschäftigt, dass uns unumkehrbare Veränderungen bevorstanden.
    Ich widmete mich voll und ganz meiner Mutter. Krisen oder Anfälle traten nicht mehr auf. Auch wenn sie weiterhin viel zu dünn und bleich blieb und wie ein Vogel in ihren Mahlzeiten herumstocherte, freute sie sich stets, wenn Alfonso und ich sie nachmittags besuchten.
    Es rührte mich zu erfahren, dass Alfonso sich Mühe gegeben und ein portugiesisches Lied gelernt hatte, das er mit Begeisterung, wenn auch wackeliger Stimme vortrug. Musisch veranlagt war mein Bruder nicht unbedingt, doch als er meiner Mutter die Verse aus ihrer Heimat vorsang, konnte ich sehen, wie ihr Gesicht weicher wurde und seine verblühte Schönheit zurückgewann. In ihre völlig veraltete Hofrobe gehüllt, die Finger befrachtet mit matt gewordenen Ringen, klopfte sie den Rhythmus auf den Armlehnen ihres Stuhls mit, während die Füße unter dem Saum ihrer Robe lautlos die komplizierten Schrittmuster des Tanzes ausführten. Sie hatte ihn einst meisterhaft beherrscht, als sie, die mächtigste und begehrteste Frau am ganzen Hof, über die Parkette der festlich geschmückten, großen salas geschwebt war.
    Kaum hatte Alfonso seinen Vortrag mit vorgerecktem Kinn und weit ausgebreiteten Armen beendet, klatschte sie frenetisch Beifall, als wollte sie ihre nur noch selten gezeigte Freude verewigen. Dann winkte sie mich zu sich. »Tanz, Isabella! Tanz mit deinem Bruder!« Und als Beatriz die Melodie auf dem kleinen viersaitigen cavaquinho meiner Mutter anschlug, fasste ich Alfonso an der Hand und mühte mich, die Schrittfolge einzuhalten, obwohl mir mein Bruder wiederholt auf die Zehen trat und mich, sein Gesicht von der Anstrengung gerötet, angrinste.
    »Es ist viel einfacher, einen Wettkampf mit cañas zu bestehen«, flüsterte er mir ins Ohr. Ich musste lachen, denn nur bei Gelegenheiten wie dieser verriet er, dass er sich in seinem männlichen Stolz gekränkt fühlte. Statt vor seiner Familie über die eigenen Füße zu stolpern und eine Blamage zu riskieren, stellte er lieber auf dem Rücken von Pferden sein Geschick
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