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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Zsuzsa Bánk
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breite Treppe hoch und liefen über eine Galerie, vorbei an fremden Zimmern, in denen sich Schatten hinter den Vorhängen bewegten. Es war eine kleine, dunkle Wohnung im ersten Stock. Manci öffnete die Tür und umarmte uns unter Tränen. Im einzigen Zimmer bezog sie ein Bett, in dem Isti und ich Sekunden später einschliefen. Ich träumte von meiner Mutter. Sie saß im Innenhof und trocknete ihr Haar.

    Jeden Morgen weckte uns Manci mit Hörnchen, die sie dick mit Butter bestrich. Wenn sie Geld hatte, brachte sie uns mittags in ein Restaurant, in dem wir uns selbst bedienten. Leuchtbuchstaben standen über dem Eingang, und wenn der Regen an die Fenster schlug, legte man die nassen Schirme in eine kleine Wanne. Isti und ich stellten uns mit großen Tabletts an und nahmen das Essen aus Vitrinen. Isti riß die Klappen hoch, ließ sie wieder fallen, bis die Teller hinter dem Glas tanzten und jemand in Haube und Kittel anfing, mit Manci zu schimpfen, ob sie nicht sehe, was dieses Kind anstelle?

    Von Großmutter wußte ich, Manci war mit einem Zöllner verheiratet gewesen und hatte eine kleine Rente. Ihr Mann hatte immer das beste Stück Fleisch bekommen und Manci nur die Reste. Sie hatte weiße Locken, die sie unter einem Haarnetz zusammenband, und feines Porzellan in ihrer Kredenz. Wir nannten Manci Patentante - so wie unser Vater sie nannte. Bevor sie zu Bett ging, rieb Manci ihre Hände mit Glycerin ein und zog Handschuhe aus Plastik darüber, die sie aus einer Packung mit Haarfärbemittel hatte. Sie schlief auf dem Rücken und rührte sich die ganze Nacht nicht. Nur manchmal hörten wir das leise Knistern ihrer Handschuhe.

    Tagsüber trug Manci Perlonstrümpfe, die sie abends in einer Schüssel wusch und an einer Leine in der Küche trocknen ließ. Das Wasser tropfte in schmutzige Töpfe und Teller und vermischte sich mit den Ölresten. Ich konnte dabei zusehen, wie sich farbige Pfützen bildeten, wie ein Tropfen noch einmal hochsprang, bevor er Kreise zeichnete, in grün und gelb und lila. Vor dem Küchenfenster stand eine Mauer, vielleicht einen halben Meter entfernt. Wenn es regnete, floß das Wasser hier hinunter, und Isti und ich, wir saßen auf der Liege und starrten auf das Mauerstück vor dieser Küche, vor diesem Haus, in dieser Stadt, von der Großmutter gesagt hatte, sie habe Fieber, wie der Junge aus Vat, der an Fieber gestorben war, im Sommer davor, genau so habe Pest dieses Fieber.

    Mein Vater blieb nächtelang weg. Er verabschiedete sich nicht, ließ die Tür ins Schloß fallen und kehrte erst zurück, wenn es schon Mittag war. Dann legte er sich neben uns auf die Küchenliege, und wir beobachteten ihn beim Einschlafen. Erzsi, die Nachbarin, war oft bei uns, obwohl Manci sagte, Erzsi meckert wie eine Ziege. Sie brachte Zeitschriften mit, Zeitschriften mit Schlagzeilen wie Die größte Torte Ungarns oder Ein Skoda für das ganze Dorf. Wenn mein Vater neben uns eingeschlafen war, raunte Erzsi mir zu, weißt du, wo er war? Ich schüttelte den Kopf und schaute zu Boden. Wissen Sie es vielleicht?, fragte ich zurück, und Manci schimpfte, laß der Kleinen ihren Frieden. Seitdem schaute ich meinem Vater nach, wenn er die Wohnung verließ. Erzsi wußte, wohin er ging. Ich nicht.

    Nachts wachte ich auf. Ich hatte die Stimme meiner Mutter gehört, ihr Gesicht gesehen und lief zur Tür, die Manci meiner Mutter soeben geöffnet hatte. Alles war still und dunkel. Ich schob die Sperre beiseite, ging vor zur Brüstung, blickte hinab in den Hof und wartete. Ich war mir sicher, jeden Moment würde sie auftauchen, dort unten, auf diesem großen Stück Asphalt. Und ich, ich würde die Tür schließen und gehen, so wie ich war, ohne Schuhe, im Hemd, über die Galerie laufen, die Treppe hinab. Isti und mein Vater sollten ruhig bleiben, ich würde sie gar nicht erst wecken. Ich stand lange dort. Erst als ich vor Kälte zitterte, ging ich zurück ins Bett.

    Budapest war grau. Wo ich hinsah, sah ich nichts als Mauern, Türen, Wände. Auf der Straße schaute ich hoch in den Himmel, in diesen schmalen Streifen aus Blau. Ich wollte weg. Ich wünschte, meine Mutter würde uns abholen und zurückbringen. Ich wußte, es würde nicht geschehen. Es war, als habe jemand alle Uhren zum Stehen gebracht, als liefe die Zeit für uns nicht weiter. So, als habe man Isti und mich in Sirup fallen lassen und dort vergessen.

    Isti und ich, wir durften hinaus, in den Hof, in die anderen Höfe und auf die Straße, aber nicht weiter als bis
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