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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Zsuzsa Bánk
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von einer Tafel und steckte sie in den Mund. Zsófi versorgte die Leute im Dorf mit Trinkschokolade in Tüten. Manchmal standen Kinder vor unserem Zaun und warteten, bis wir Schokolade an sie verteilten.

    Mein Vater arbeitete abends. Er arbeitete nachts. Wir sahen ihn selten. Wenn er da war, ließ er sich von Zsófi bedienen, wie vorher von seiner Mutter, seiner Frau und von Manci. So wie er es von allen Frauen gewohnt war. Tagsüber dämmerte er mit geöffneten Augen auf einer Liege und war nicht ansprechbar. Er tauchte. Zsófi rüttelte an seiner Schulter und reichte ihm ein kleines Glas mit schwarzem Kaffee, wenn es für ihn Zeit war loszugehen. Du mußt ihn wecken, obwohl er nicht schläft, sagte Jenő, und er sagte es so, damit es klang wie ein Vorwurf. Mein Vater stand auf, langsam, und als Zsófi ihm die Uhrzeit nannte, schaute er sie an, als könne er sie nicht verstehen. Er wirkte wie jemand, den ein Geräusch aus dem Schlaf geschreckt hat und der sich nun durch die Dunkelheit tastet, um nachzusehen, was es war.

    An den Wochenenden gingen mein Vater und Pista ins Wirtshaus. Jenő durfte sie jetzt begleiten. Ich sah ihnen hinterher, wie sie nebeneinander liefen, mit meinem Vater in der Mitte, wie sie ihren Atem in die kalte Luft stießen, als weiße Wolke, wie sie sich entfernten und dabei kleiner wurden. Seit wir Vat verlassen hatten, wurde ich unruhig, sobald mein Vater aus dem Haus ging. Ich glaubte, er würde Isti und mich eines Tages zurücklassen. Er würde allein in einen Zug steigen, vergessen zurückzukommen, vergessen, uns abzuholen. Oder er würde uns abstellen, irgendwo auf unserem Weg, vielleicht an einem Wegrand, und es wäre unmöglich, ihn einzuholen.

    Zsófi schickte uns nicht mehr zum Wirtshaus. Es war ihr gleich, wann Pista, Jenő und mein Vater zurückkamen. Mir schien es sogar, als gefiele ihr die Zeit, in der sie allein sein konnte, besser. Sie störte sich nicht an Isti und mir und führte Gespräche mit sich selbst. Sie sprach über das Wetter, über die Tiere, über die Arbeit auf dem Hof, über meine Mutter, ja, sie redete mit ihr, sie hörte auf das, was meine Mutter ihr sagte. Ich genoß diese Gespräche. Zsófi antwortete meiner Mutter nur mit Gegenfragen: Ach so?!, oder: Das war immer schon so, warum sollte es sich ändern? Wenn ich sie fragte, über was sie redeten, erwiderte Zsófi, über nichts Besonderes, es geht ihr gut. Einmal, sonntags, nach der Kirche, sagte Zsófi, das Holzkreuz über dem Altar habe zu ihr gesprochen, kurz bevor sie die Kirche verlassen habe. Was hat es gesagt?, fragte Isti, während die anderen schwiegen.

    Sonntags schliefen Jenő, Pista und mein Vater ihren Rausch aus. Zsófi schimpfte, in den Hof haben sie gepinkelt, in den zugefrorenen Hof, in dem nichts mehr versickern kann, Schweine. Sie zog Jenő an den Haaren aus dem Bett und rief meinem Vater zu, wenigstens du, Kálmán, wenigstens du. Am Abend waren die gelben Pfützen auf dem Eis gefroren. Wenn jemand vorbeikam, sagte Zsófi, die Kuh war es, die Kuh. Bis Weihnachten waren die Stellen zu sehen, als meine Großmutter kam, Kuchen in Pappkartons brachte und über unseren Köpfen viele Tränen vergoß. Isti ließ sie nicht aus den Augen, er ließ sie nicht einen Augenblick allein. Er sagte, ich kann Ihnen alle Abfahrtszeiten der Züge nennen, und dann zählte er sie auch schon auf. Er stand vor meiner Großmutter, ging einen Schritt vor, wieder einen zurück, und ließ aus seinem Mund diese Zahlenreihen und Wochentage fließen, über die sich alle sehr wunderten. Mein Vater schaute mich so an, daß es mir plötzlich komisch vorkam, zu denken, er würde uns irgendwo am Wegrand zurücklassen.

    Am Weihnachtsabend spielte Jenő freiwillig Klavier, wir hatten alle unsere besten Kleider angezogen und sangen Vom Himmel, der Engel. Zsófi weinte ein bißchen, und wir umarmten uns alle und wünschten einander Frohe Weihnachten. Nachts gingen wir in die Mette. Jeder sollte ein leises Gebet für sich selbst sprechen. Ich bat darum, Gott möge meine Mutter zurückbringen.

    Als wir allein waren, gab mir Großmutter eine Postkarte, die meine Mutter geschickt hatte. Fröhliche Weihnachten stand darauf, in drei Sprachen, aber nicht in unserer Sprache, wie meine Großmutter sagte, und eine Frau und ein Mann schmückten einen Christbaum. Sie trug ein dunkles Abendkleid und er einen Anzug, dazu eine schmale Krawatte. Meine Mutter hatte das vorgedruckte Fröhliche Weihnachten mit einem blauen Stift
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