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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Zsuzsa Bánk
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Der Herbst hatte sich angekündigt, jetzt würde er kommen. Mit welkem Laub, mit Vögeln, die davonzogen. Blätter verfärbten sich, segelten vor unseren Augen hinab und wurden vom nächsten Windstoß weggetragen. Ich fragte mich, wo, an welchem Ort meine Mutter jetzt saß, mit wem sie ihre Abende verbrachte. Nur noch manchmal streunten wir durch fremde Gärten, Isti und ich. Für Pista, meinen Vater und Jenő gab es keine Arbeit mehr auf den Feldern. Die Männer verbrachten die meiste Zeit im Wirtshaus, und Jenő saß am Klavier und spielte kurze, süße Melodien, mit einem Gesicht, vor dem Isti Angst hatte. Zsófi kochte alles ein, was wir aus dem Garten geholt hatten. Sie kochte Marmelade, sie kochte Kompott, sie legte Kraut ein und Gurken, und sie meinte, bis zum nächsten Sommer würden wir davon essen können, vielleicht sogar länger, vielleicht sogar über den Sommer hinaus. Bald wehte ein kalter Wind über den Hof, und die Tür blieb fortan geschlossen. Zsófi sagte, dieser Sturm, er kommt von Westen, und Pista ergänzte, nicht nur dieser Sturm, alles Schlechte kommt von Westen. Als der Hund bellte, fragte Isti, ob er auch im Winter draußen bleibe. Ja, auch im Winter bleibt er dort, antwortete Jenő scharf.

    Isti und ich, wir liefen jetzt an den Nachmittagen zur Zugstation und von dort die Gleise entlang. Wir hielten unsere Ohren an die Schienen, bis wir glaubten, ein Klingen auf den Gleisen zu hören, das einen Zug ankündigte. Ich legte eine Münze auf die Schiene, und wir warteten, bis sie anfing zu zittern. Isti schreckte hoch, rannte in die Felder und blieb irgendwann stehen, regungslos, irgendwo unter diesem flachen, blassen Himmel. Er hätte alles sein können, ein Baum, ein Strauch oder ein Tier, das sich ausruht, bevor es weiterläuft.

    Wenn wir zurückkehrten und uns niemand wirklich bemerkte, fiel Isti in seinen Dämmerzustand. Ich lag neben ihm und schaute auf die Blätter des Nußbaums, die im letzten Licht des Tages fast schwarz aussahen. Von Zeit zu Zeit hob Isti seine Arme und bewegte sie so, als winke er jemandem - ganz langsam. Einmal, als er nachts wieder zu sich kam, weckte er mich und flüsterte, er warte auf ein Wunder. Und ja, er glaube daran, ganz fest glaube er daran, daß es geschehe. Auf welches Wunder er wartete, mochte er mir nicht sagen, und ich ließ ihn.

Karcsi.
    Der Winter war lang und dunkel. Selbst das Weiß des fallenden Schnees konnte dieser Dunkelheit nichts anhaben. Sie schien mir trüber, tiefer noch als zu Hause, vielleicht, weil der Himmel näher war, manchmal zum Anfassen nah, manchmal so, als wollte er uns zudecken, aufsaugen und verschwinden lassen.

    Seit Jahren ist es der härteste Winter, das sagt auch das Radio, wiederholte Zsófi oft genug, wenn sie die Tür schloß und sich schüttelte wie ein Hund nach dem Regen, wenn sie den Schnee von ihren Stiefeln klopfte, wenn sie an Isti und mich Decken verteilte, weil der Ofen uns nicht genügend wärmte. Bevor der große Frost kam, lief ich jeden Tag zum Brunnen, um Wasser zu holen. Ich hörte auf das blecherne Geräusch, wenn der Eimer das Wasser berührte, wenn er an die glatte, spiegelnde Oberfläche stieß. In Gedanken sprang ich metertief hinab und schwamm durch geheime Gänge, die mich wegbrachten. Weg von hier. Weg von Pista, von Zsófi, weg von Szerencs, diesem Ort, dessen Name mich getäuscht hatte.

    Monatelang liefen Isti und ich über gefrorenen Boden, über Eis, das den Staub eingesperrt hatte und ihn wie unter Glas zeigte. Wenn meine Ohren und Hände schmerzten vor Kälte, lief ich zurück zum Haus, wo Zsófi im Ofen Holz nachlegte. Isti kehrte erst nach Stunden wieder, blaugefroren, mit nassen Hosenbeinen. Er sagte, alles sei besser, als hier zu sitzen. Er hatte Zweige vom Flußufer mitgebracht, an denen das Wasser festgefroren war. Wie Gichtfinger sehen sie aus, sagte Jenő, und es klang fast traurig.

    Mein Vater hatte Arbeit in der Schokoladenfabrik. Er wartete Maschinen, sah dabei zu, wie Schokolade gerührt, geschlagen, in Formen gegossen wurde, und wies neue Arbeiter ein. Er zeigte ihnen, wie sie Hauben über ihr Haar zu ziehen, wie sie Schokolade auf Kühltischen auszubreiten, wie sie Zucker abzuwiegen hatten. Pralinés mit Weinbrandfüllung stapelten sich in Zsófis Küche, Schokoladentafeln, Trinkschokolade in Tüten und Kuvertüre in Folie. Wenn wir Éva und Karcsi besuchten, brachten wir Pralinés mit. Jenő saß oft schokoladenverschmiert am Klavier und brach nach jedem Lied Stücke
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