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Der schwarze Prinz

Titel: Der schwarze Prinz
Autoren: Netty
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der Lichtelben an magischer Kraft übertrafen, und die rechte Hand der Äbtissin zitterte immer stärker. Doch solange die Möglichkeit bestand, dass es sich bei dem Eindringling nicht um einen Feind, sondern um einen Freund handelte, konnte sie es nicht wagen, alles aufzugeben, wofür sie gekämpft hatte. Denn wenn es ein Freund war, und sie ihren heiligen Schwur brach, wer wäre dann noch hier, wenn schließlich wirklich ein Feind auftauchte, um an sich zu bringen, was niemand an sich bringen durfte?
    Alberich hätte das verfluchte Ding schon vor langer, langer Zeit zerstören sollen! Aber sooft Schwester Brünhilde in der Vergangenheit dafür plädiert hatte, war sie auf taube Ohren gestoßen. Sie vermutete, dass der oberste Fürst der Lichtelben seine ganz eigenen Zwecke damit verfolgte - und wie immer konnte man bei ihm nie sicher sein, welche das waren.
    Etwa drei Dutzend Schritte von dem Eingang der uralten Kirche entfernt fühlte die Äbtissin, wie etwas in der sie nun völlig umhüllenden Machtsphäre sich änderte. Der Eindringling hatte ihr Nahen bemerkt. Schwester Brünhilde spürte Neugier ... und kurz darauf einen Hauch Amüsiertheit. Dann war das Interesse an ihr aber auch bereits wieder verschwunden.
    Die Nonne brauchte nur eine Hand, um das schwere Portal zu öffnen, und betrat die mehr als elfhundert Jahre alte Kirche, von der sie wusste, dass sie auf einem noch älteren Gebäude stand. Hier drin war es noch um einiges kälter als draußen. Das Zentrum der Sphäre der Macht lag weiter unten - im Herzen der Krypta. Schwester Brünhilde umklammerte den kleinen Hammer am Rosenkranz, um das Zittern ihrer Hand zu mildern, und sammelte sich einige Herzschläge lang, ehe sie die kleine Tür und die schmale nach unten führende Treppe betrat.
    Schleichen machte keinen Sinn - wer immer dort unten war, wusste bereits, dass sie hier war. Schwester Brünhilde fühlte eine lange verdrängte Empfindung in sich aufsteigen ... und allmählich stärker werden ... wilder. Es war keine Angst, Angst kannte sie nicht; es war ein gutes Gefühl ... Erwartung ... ja vielleicht sogar Zuversicht ... zumindest aber Hoffnung ... Hoffnung auf einen bevorstehenden Kampf ... einen Kampf, der dem viel zu langen Warten ein für alle Mal ein Ende bereiten würde ... auf die eine oder auf die andere Weise. Selbst wenn sie diesen Kampf verlor, hätte sie ihr Schicksal erfüllt. Doch sie trat nicht an, um zu verlieren. Das tat sie nicht, weil sie es nicht konnte. Verlieren lag nicht in ihrer Natur. Sie war als Kämpferin erschaffen ... wahrhaftig die geborene Siegerin. Nur ein einziges Mal hatte sie je einen Kampf verloren ... und genau das war der Grund, warum sie nun hier war ... um ihr Fehlen zu sühnen.
    Die Krypta der Michaeliskirche in Fulda ist ein Rundbau, bestehend aus zwei konzentrischen Mauerkreisen - im Zentrum des Inneren ein runder Raum, in dessen Mitte eine der beiden heute noch existierenden Irminsul steht, das sächsisch-germanische Symbol für den Weltenbaum Yggdrasil. Der Weg am Fuß der Treppe führt durch den Kreisgang hindurch, der mittels der inneren Mauer vom Hauptraum getrennt ist, ganz genau darauf zu. Schwester Brünhilde entschied, nach rechts in den Gang abzubiegen und das Zentrum von der gegenüberliegenden Seite aus zu betreten. Dass der Eindringling von ihrer Anwesenheit wusste, bedeutete ja nicht, dass sie nicht wenigstens versuchen konnte, das Überraschungsmoment auf ihre Seite zu ziehen.
    Sie durchschritt das Dunkel hocherhobenen Hauptes und atmete ruhig, um sich auf die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Kampfes einzustellen.
    Nimm mich zur Hand! , singsang die leise Stimme aus der Segeltuchrolle. Du wirst mich brauchen .
    Schwester Brünhilde ignorierte die Einladung - so verlockend sie auch war - und trat an den Rand des Durchgangs zum inneren Raum, um hineinzuspähen. Zuerst erschien es so, als sei die Krypta leer. Niemand war zu sehen. Dann aber bemerkte die Äbtissin einige seltsam geformte, wabernde Schlieren in der Leere - wie in der Hitze simmernde Luft - und je genauer sie hinsah, umso besser konnte sie erkennen, dass die kleinen atmosphärischen Wirbel ein größeres Schema darstellten: das einer menschlichen Statue ... nur gewaltiger. Die unsichtbare Gestalt umkreiste mit langsamen Schritten die Säule. Schwester Brünhilde konnte nicht erkennen, ob sie männlich war oder weiblich.
    »Zeig dich!«, rief sie und wartete. Doch nichts geschah. Völlig umsonst hatte
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