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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal
Autoren: Jan Fleischhauer
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gibt schlimmere Vergehen – schlechte Politik zum Beispiel.
    Man kann das immer weiter treiben. Man kann bei den Politikern jede Flugmeile nachzählen und jedes einzelne Sandwich, für das ein anderer die Zeche übernommen hat. Wir sind inzwischen schon so weit, dass die Bundeskanzlerin ihren Dienstwagen selber zahlen muss, wenn sie sich mit ihrem Mann nach der Arbeit ins Kino bringen lässt. Das gilt dann als Privatfahrt, auch wenn sie lieber das Taxi genommen hätte, was aber nicht geht, weil das gegen die Sicherheitsbestimmungen verstoßen würde. Also wartet draußen die Limousine, die als geldwerter Vorteil in Rechnung gestellt wird.
    Wer in dieser Welt überleben will, in der einen schon ein falsch quittierter Dienstwagenkilometer zu Fall bringen kann, muss entweder ein Frömmler sein oder ein Eunuch. Bei anderer Gelegenheit werden wir dann wieder lesen, dass es den Politikern heute an Saft und Kraft fehlt. Aber was sollte jemanden mit attraktiven Berufsalternativen veranlassen, sich in ein Arbeitsfeld zu begeben, wo einen jederzeit Leute in Verruf bringen können, die ihrerseits völlig unbelangbar sind? Ein Franz Josef Strauß hätte es unter den herrschenden Moralnormen nicht einmal zum Kreisvorsitzenden gebracht. Wer das als Fortschritt betrachtet, sollte sich auch nicht beklagen, wenn seine Abgeordneten dann wie Buchhalter reden.
    Viel wurde aus dem Umstand gemacht, dass Wulff vor dem Landtag in Niedersachsen nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Aber was bedeutet das schon? Keinen der Abgeordneten, die in Hannover nach den geschäftlichen Verbindungen ihres Ministerpräsidenten fragten, trieb die Sorge um das Land; es ging darum, Wulff in Schwierigkeiten zu bringen. Das ist das gute Recht der Opposition, so ist Politik. Umgekehrt kann man aber von dem derart Bedrängten nicht verlangen, dass er den Gegnern die Argumente frei Haus liefert, an denen sie ihn dann aufzuknüpfen trachten. Es gibt auch im politischen Betrieb keine Verpflichtung zur Schafsköpfigkeit.
    Wer von Politikern unbedingte Wahrheitsliebe fordert, ist entweder grenzenlos naiv – oder sieht absichtsvoll von den Bedingungen dieses Geschäftes ab. Wulffs Erklärung nutzte den Raum zwischen wahrheitsgemäßem Eingeständnis und kunstvoller Auslassung. Man kann das schlitzohrig finden, auch über die Maßen trickreich, aber all das begründet noch keinen Straftatbestand. Erst die bewusste Täuschung überschreitet die Grenze der Legalität. Die gilt es zu beweisen.

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Spießer-Alarm
    Was spricht gegen eine Klinkerfassade? Überhaupt nichts, wenn einem die Meinung des deutschen Feuilletons weitgehend egal ist. Oder eben sehr viel, wenn man zu den Menschen zählt, die sich auf ihre Weltläufigkeit viel zugute halten. Christian Wulff hat sich ein Haus mit Klinkerfassade gekauft. Möglicherweise ist das sein größter Fehler gewesen. Jeder hätte verstanden, wenn er sich eine Altbauetage in Hannover zugelegt hätte, dann auch mit einem Kredit von seinem Freund Maschmeyer. Aber 415000 Euro für ein Fertighaus in Großburgwedel? Darüber kann man in den aufgeklärten Kreisen bis heute nur den Kopf schütteln.
    Wohin sie blicken, überall erkennen die professionellen Betrachter Mittelmaß, einen erschreckenden Mangel an «Zeitgenossenschaft und Gestaltungwillen», wie es in der «taz» hieß. «Unglaublich bieder» erscheint ihnen alles an dem Ensemble («die Proportionen stimmen nicht und die Fensterkreuze sind nur aufgeklebt»), «trostlos» («Handelsblatt») auch das Ferienhaus. Die « FAZ » bemängelte gleich den ganzen Lebenszuschnitt der Bewohner und resümiert: «Es ist das Deprimierende an dieser Affäre, dass sie in jeder Situation immer wieder einen Mann zeigt, dessen Möglichkeiten mit den Ämtern wachsen, ohne dass sich die Verhältnisse seines Denkens ändern. Das geborgte Haus ist nur ein Klinkerhaus, der geschenkte Urlaub führt nicht auf eine Südseeinsel, die Piefigkeit ist immer wieder nur dieselbe Piefigkeit.» Mit anderen Worten: Einem flamboyanteren Mann hätte man seine Verfehlungen vielleicht verziehen, einem solchen Spießer auf keinen Fall.
    Wer nach einer Erklärung sucht, warum so viele Deutsche so lange zu Wulff hielten, findet sie auch in dieser herablassenden Betrachtung einer Welt, die für die meisten Normalität ist. Das Stichwort hier ist Piefigkeit, dabei ist die soziodemographische Wahrheit, dass die überwiegende Zahl der Deutschen nicht auf naturgewachsten Altbaudielen in
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