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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal
Autoren: Jan Fleischhauer
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versteht.
    Rot-Grün verweist auf Haushaltsnöte. Trotz aller «Wertschätzung für die großen Verdienste von Alice Schwarzer» müsse die Landesregierung sparen und dabei auch «die Verhältnismäßigkeit der Fördermittel zu anderen Frauenprojekten wahren», heißt es aus der Staatskanzlei. Das ist grober Unfug, der leicht als solcher zu durchschauen ist. Der Haushaltstitel, in den die Förderung von Schwarzers Archiv fällt, ist gerade um neun Millionen Euro erhöht worden. Das Geld geht jetzt nur an andere Träger, das Frauenkulturbüro in Krefeld zum Beispiel, das dafür einen «poetischen Erfahrungsaustausch» von Frauen für Frauen oder ein Debattenforum «zu Themen der Geschlechterrollen beziehungsweise des Feminismus in der Kunst Osteuropas» veranstaltet.
    Was also hat Alice Schwarzer sich zuschulden kommen lassen? Sie hat sich nie das Maul verbogen, auch wenn es um den Teil des politischen Spektrums ging, der sich selbst als progressiv empfindet. Das ist das Vergehen, für das sie nun zur Rechenschaft gezogen wird. Schwarzer hat es insbesondere den Grünen nie leicht gemacht: Sie hat sich früh über die «Blut-und-Boden-Fraktion» der Ökopartei lustig gemacht und deren «Strickmütter», die nach ihrer Ansicht mit dem, «wofür ‹Emma› steht, nämlich totale Chancengleichheit, gleiche Rechte, gleiche Pflichten, noch nie etwas anfangen konnten». Sie hat die «Anything-goes-Moral» der Linken attackiert und den «Kulturrelativismus», der die systematische Entrechtung von Frauen in der islamischen Welt als Teil einer religiösen Tradition wegzuerklären versucht.
    Vor allem aber hat sie sich nie mit dem Ethos des Kollektivs abgefunden, das auf jede Ausnahmestellung mit Abwehr reagiert. «Ich weiß noch, wie ich das erste Mal im Frauenzentrum saß», berichtete sie kürzlich im SPIEGEL über ihre Rückkehr 1974 aus Paris: «Da hob eine Frau zwei Hände. Ich fragte, warum hebt die denn zwei Hände? Da hieß es: Meldung zur Geschäftsordnung. Da dachte ich, nein, Mädels, das mache ich nicht mit.» In Frankreich hatte man einfach lauter geschrien als die anderen, wenn man etwas sagen wollte. In Deutschland hieß es: Setz dich, du bist noch nicht dran. Auch weil sie sich nicht solchen Selbstverzwergungsritualen beugte, ist Schwarzer heute dort, wo viele ihrer ehemaligen Mitstreiterinnen gerne wären.
    Spätestens seit sie ihre Sympathien für Angela Merkel erkennen ließ, sind die Grünen durch mit der Frauenrechtlerin aus Köln. Seitdem hat sie aufgehört, für diese «kritische Stimme» beziehungsweise «Sprachrohr des Feminismus» zu sein, wie die nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Daniela Schneckenburger nach dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb 2009 schlankweg erklärte. Wichtiger als das Glück über das Erreichte, ist in diesen Kreisen immer noch die Gesinnungstreue. Man hätte als Frau auch darauf stolz sein können, dass es eine junge Tory-Abgeordnete namens Margaret Thatcher gegen alle Widerstände und Bigotterie an die Spitze der britischen Regierung brachte, tatsächlich ist dieser Aufstieg ein Paradefall geglückter Emanzipation, wie die Filmbiographie über die «eiserne Lady» im Frühjahr noch einmal eindrucksvoll in Erinnerung rief. Aber dieser Ehrenplatz in der Ahnengalerie starker Frauen wird wohl ebenfalls für immer leer bleiben.
    Den modernen Feminismus, wie ihn die Nachfolgegeneration verkörpert, treibt keine politische Idee mehr. Hinter dem Versprechen der Emanzipation steht nur noch die Vorteilsgewinnung, deshalb auch die Verkürzung jeder Diskussion auf die Quote. Gleichstellungspolitik funktioniert hier folgerichtig als Patronage der eigenen Anhängerschaft. Wer dazu nicht zählt, soll sich nicht beschweren: Was eine Fehlinvestition ist, weiß man auch bei Rot-Grün, so viel von Haushaltsdingen versteht man dann doch.

[zur Inhaltsübersicht]
Liste des Schreckens
    Auch Ängste lassen sich politisch kartographieren. Wovor müssen wir uns in den kommenden Monaten fürchten, wenn man den aufgeklärten Medien glauben darf? Ein Ausblick auf fünf Katastrophen, die uns in diesem Jahr drohen. Und im nächsten.
    1.
Die soziale Spaltung in Deutschland vertieft sich.
Die Wirtschaft trotzt allen Krisen, die Nettoeinkommen legen zum ersten Mal seit langem wieder zu, dennoch werden uns wieder jede Menge Studien erreichen, wonach sich die Armut weiter verfestigt. Höhepunkt dieser Art von Notstandsberichterstattung war im vergangenen Jahr ein UN -Bericht, wonach jedes vierte Kind in
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