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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal
Autoren: Jan Fleischhauer
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einsehen lässt, denn diese Einkommensunterschiede beruhen nicht auf Leistung, sondern allein auf äußeren Attributen.
    Die Sozialdemokraten haben noch einiges zu tun, um ihrem Ziel – der Gleichberechtigung aller mit allen – näher zu kommen. Wünschen wir ihnen viel Glück dabei, es wird kein leichter Weg.

[zur Inhaltsübersicht]
Vor den Gerichtshöfen der Moral
    Ja, Christian Wulff hat einen schrecklichen Fehler begangen. Er hat sich von einem langjährigen Freundespaar Geld geliehen und das anschließend als seine Privatsache betrachtet. Das reicht in der Politik, um vor dem Moral-Standgericht zu landen. Die Schnellgerichtsbarkeit ist in Deutschland seit längerem aus der Mode, außer bei Tugendvergehen. Da liegen Anklage und Urteilsfindung in einer Hand, was das Verfahren ungemein beschleunigt. Nicht einmal 48 Stunden brauchte es im Fall Wulff für die Beweisaufnahme, dann stand das Urteil fest. Der Bundespräsident habe seinen «Kredit verspielt», befand die «Zeit» und verhängte über das Staatsoberhaupt eine unbefristete «Bewährungsaufsicht». Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» erteilte ihm Auftrittsverbot («Der Bundespräsident wird künftig schweigen müssen») und machte sich in ihrer politischen Redaktion schon einmal auf die Suche nach möglichen Nachfolgern.
    Lange Zeit war unklar, gegen welches Gesetz Christian Wulff verstoßen haben soll. Juristisch sei sein Verhalten zwar nicht anfechtbar, lautete der erste Befund, dafür aber moralisch. Das ist allerdings ein Vorwurf, gegen den sich nur schwer eine Verteidigung aufbauen lässt. Wie sollte diese aussehen? Die moralischen Normen, für deren Übertretung sich der Präsident verantworten muss, sind nirgendwo kodifiziert. Tatsächlich wird, wer sich für Fassbareres interessiert, auf das nötige «Gespür» für die Würde des Amtes verwiesen, ein «Gefühl» für das, was sich als Politiker gehöre und was nicht. Für solche Kategorien sind normalerweise Tugendwächter zuständig, keine Richter.
    Wer die Moraltreue über die Gesetzestreue stellt, betritt schwankenden Boden. «Legalität ist begrenzt und halbwegs nachprüfbar; Moralität aber ist potentiell unendlich, sie lässt sich immer noch übertreffen», hat Gustav Seibt über diese Form der Moraljustiz bei anderer Gelegenheit scharfsinnig angemerkt. Als das Ehepaar Wulff in der Villa des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer den Urlaub verbrachte, machte sich die Empörung an der Größe des Anwesens fest. Aber was wäre ein Reisearrangement, das keinen Unwillen mehr erregt? Fünf Tage im Drei-Zimmer-Appartement ohne Pool in El Arenal? Und wer erteilt die Genehmigung? Plasberg, Prantl, die Bewährungshelfer der «Zeit»?
    Das Beängstigende an dieser Art Moraljagd ist das Willkürliche. Wo jede Strafprozessordnung suspendiert ist, sind vor Gericht auch nicht mehr alle gleich. Welches Vergehen zur Verhandlung kommt, hängt an der Laune der Ankläger – und die wiederum nicht selten an der politischen Provenienz des Angeklagten. Dieselbe Frau Nahles, die Wulffs Verhalten «unerträglich» fand, hatte umgekehrt keinerlei Einwände, als sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck eine Geburtstagssause aus Gebührengeldern des ZDF sponsern ließ. Auch die Reisebegleitung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat nie jemanden sonderlich interessiert, dabei waren jede Menge Passagiere aus der SPD -Unterstützer-Szene mit an Bord, wenn er sich in fremde Länder aufmachte. Bei Außenminister Guido Westerwelle wiederum war es ein großer Skandal, als man in seiner Begleitung Spender der FDP entdeckte. Auch Westerwelle hatte an keiner Stelle gegen die Beförderungsrichtlinien des Auswärtigen Amtes verstoßen. Aber er hatte den bösen Anschein erweckt, bestechlich zu sein, wie es anschließend hieß. In der Sphäre der moralischen Gerichtsbarkeit reicht immer schon der Anschein, um über jemanden den Stab zu brechen.
    Auch Demokratie braucht Großzügigkeit. Wo kommt bloß diese Angst her, dass sich jemand vom politischen Personal etwas herausgenommen haben könnte, das ihm nicht zusteht? Woher stammt dieser puritanische Vergleichs- und Aufrechnungsfuror? Geht es uns so schlecht, dass wir glauben, uns mit den politischen Repräsentanten keine Nachsicht mehr erlauben zu können? Natürlich ist es nicht schön, wenn jemand sich seinen Dienstwagen an den Urlaubsort bringen lässt oder den Hubschrauber der Flugbereitschaft zu einem privaten Abstecher nutzt. Aber es
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