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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm
Autoren: Frank Schätzing
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sein Haus im norwegischen Hinterland nicht mehr sehen konnte, über Sue Oliviera, Murray Shankar, Alicia Delaware und Greywolf. Leon vermisst seine Freunde, ganz besonders an einem Tag wie diesem. So sind wir Menschen. Auch um der Toten zu gedenken, brauchen wir Ankerpunkte der Trauer, damit wir den Schmerz hinterher in eine Kiste stecken und ein weiteres Jahr zwischenlagern können, und wenn wir ihn das nächste Mal auspacken, stellen wir fest: Wir hatten ihn größer in Erinnerung. Dem Tod die Toten. Sehr schnell gingen wir zu den Lebenden über. Kürzlich habe ich Gerhard Bohrmann kennen gelernt. Ein angenehmer Zeitgenosse, ausgeglichen und entspannt. Ich weiß nicht, ob ich anseiner Stelle je wieder einen Fuß ins Wasser setzen würde, aber er vertritt die Auffassung, schlimmer als vor La Palma könne es nicht kommen. Also taucht er weiter, um sich ein Bild vom Zustand der Kontinentalabhänge zu verschaffen, und mittlerweile kann man ja auch wieder tauchen. Tatsächlich hörten die Angriffe unmittelbar nach dem Untergang der Independence auf. Kurz zuvor hatten die SOSUS-Messstationen Scratch-Signale registriert, die quer durch den Ozean zu hören waren. Als Stunden später der Rettungstrupp am Vulkankegel eintraf, um Bohrmann aus seiner Felsspalte zu befreien, fand man keine Haie mehr vor. Die Wale kehrten über Nacht zu ihren natürlichen Verhaltensweisen zurück. Die Würmer verschwanden ebenso wie die Quallenheere und die giftigen Tiere, keine Krabben überrannten mehr die Küsten, und allmählich beginnt auch die große Pumpe wieder zu arbeiten, ohne die uns eine neue Eiszeit ins Haus stünde. Sogar die Hydrate, sagt Bohrmann, gewinnen ihre Festigkeit zurück. Bis heute weiß Karen nicht genau, was sie eigentlich gesehen hat am Grund des Grönländischen Beckens, aber ihr Plan muss aufgegangen sein. Die Scratch-Sig nale decken sich zeitlich mit dem Moment, als sie Kontakt zur Königin hatte – das wissen wir vom Bordsystem des Deepflight. Der Computer hat festgehalten, wann Karen die Abdeckung öffnete, um Rubins Leichnam in die Tiefsee zu entlassen, und wenig später stoppte der Terror.
    Oder sollten wir besser sagen, er wurde ausgesetzt?
    Nutzen wir unsere Chance?
    Ich weiß es nicht. Langsam erholt sich Europa von den Folgen des Tsunamis. Die Seuchen im Osten Amerikas wüten immer noch, wenngleich sich ihre Wirkung abschwächt und eine Reihe neuer Immunstoffe beginnt, Wirkung zu zeigen. Das sind die guten Nachrichten. Demgegenüber befindet sich die Welt im Taumel der Irritation. Wie sollen wir an uns selbst gesunden angesichts des Scherbenhaufens, der von unserem Selbstverständnis geblieben ist? Die etablierten Religionen bleiben die Antwort schuldig, exemplarisch das Christentum: Adam und Eva, die Archetypen unseres Geschlechts, räumten schon vor langer Zeit das Feld für Bausteine der Biochemie. Die Kirche akzeptierte notgedrungen, dass Gott mit Proteinen und Aminosäuren begonnen hat. Damit ließ sich leben. Entscheidend war, dass Er wollte, was Er tat! Wie genau der Mensch entstand, war nicht von Relevanz, nur dass er entstand, so wie es Gott gefiel. Gott würfelt nicht, hat Einstein gesagt. Er setzt Pläne in die Tat um, deren Gelingen außer Frage steht. Unfehlbarkeit gilt immer a priori!
    Auch mit der Vorstellung anderer Intelligenzen auf anderen Planeten vermochte das Christentum Schritt zu halten. Warum sollte Gott seine Schöpfung nicht wiederholen, sooft es Ihm gefiel? Selbst, dass solche Wesen anders aussehen, kann von Gott gewollt sein. Im Rahmen hiesiger Bedingungen, die Er kraft seines Willens festgelegt hat, ist das Modell Mensch den Bedingungen optimal angepasst. Auf anderen Planeten hat Gott andere Rahmenbedingungen geschaffen und ergo andere Lebensformen. So oder so schuf Er alles Leben nach Seinem Bilde, weil der Begriff des Ebenbildes metaphorisch zu verstehen ist: Die Schöpfung entspricht nicht Gottes Spiegelbild, sondern dem Bild, das Er im Sinn hatte, als Er daranging, sie zu verwirklichen.
    Das Problem war anderer Natur: Wenn es zutraf, dass der Kosmos bevölkert war von fremden Intelligenzen, allesamt von Gott geschaffen -musste sich dann nicht auch die Geschichte von Gottes Sohn auf jedem Planeten ähnlich abgespielt haben? Mussten die Bewohner nicht überall sündigen, um durch das göttliche Opfer erlöst zu werden?
    Man kann dem entgegenhalten, dass eine von Gott geschaffene Rasse nicht zwangsläufig sündig werden muss. Die Entwicklung konnte sich anders vollzogen haben.
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