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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm
Autoren: Frank Schätzing
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Auf einem fernen Planeten folgten die Bewohner Gottes Gesetz, sodass ein Erlöser nicht vonnöten war. Nur barg die Sache einen gewaltigen Haken: Wenn diese andere Rasse immerzu nach Gottes Wort gelebt hatte – war sie dann im Sinne Gottes die bessere Rasse? Sie hatte sich Seiner würdiger erwiesen als der Mensch, also musste Gott ihr eigentlich den Vorzug geben. Damit aber geriet die Menschheit zur Schöpfung zweiter Klasse, ohnehin vorbestraft, da schon einmal wegen fortgesetzter moralischer Unzulänglichkeit hinweggespült. Man kann es sogar noch drastischer formulieren: Gott hat mit der Menschheit nicht gerade Sein Meisterstück abgeliefert. Er hat gepatzt. Er hat nicht verhindern können, dass die Menschen sündig wurden, also sah Er sich gezwungen, Seinen Sohn zu opfern, um die Schuld zu tilgen. Eine Art Kredit in Blut. Welcher Vater tut so etwas leichten Herzens? Gott selber musste zu dem Schluss gelangt sein, dass Ihm die Menschheit misslungen war.
    Nun postuliert die Wissenschaft Tausende und Abertausende fremder Zivilisationen im All. Die Galaxien ausschließlich von Musterknaben bevölkert zu finden, mutet denn doch ein bisschen unwahrscheinlich an, also dürfen wir glauben, dass wenigstens einige der anderen Rassen schuldig wurden, was wiederum einen Erlöser erforderlich macht. In der Religion geht es in solchen Fällen nicht um Nuancierungen, sondern um Dogmen und Prinzipien, das heißt, es spielt keineRolle, wie viel Schuld jemand auf sich lädt, sondern dass er es tut. Anders gesagt – Gott lässt nicht mit sich feilschen. Vertrauensbruch ist Vertrauensbruch. Bestrafung ist Bestrafung und Erlösung ist Erlösung.
    Die Erlösergeschichte hätte sich demzufolge mehrfach zugetragen. Aber konnte man sicher sein, ob Gott nicht anderswo andere Wege gefunden hatte, die Verfehlungen Seiner Schöpfung zu sühnen? Ohne Seinen Sohn sterben zu lassen! Schon tat sich ein neues Problem auf: Christi Tod war schmerzlich gewesen, aber unumgänglich, weil der göttliche und damit einzige Weg. Im Angesicht von Alternativen jedoch: War es dann immer noch der einzig richtige Weg? Wie stellte sich Gottes Unfehlbarkeit dar, wenn Er zur Reinwaschung Seiner Schöpfung hier Seinen Sohn sterben ließ, dort aber nicht? War es ein Fehler gewesen, ihn zu opfern, den Er auf anderen Welten keinesfalls wiederholen wollte? Und welchen Sinn sollte es haben, zu einem Gott zu beten, der die Dinge nicht verlässlich im Griff hatte?
    Streng genommen konnte das Christentum also nur Intelligenzen akzeptieren, die eine Passionsgeschichte vorzuweisen hatten. Andernfalls schnitt entweder die Menschheit schlecht ab oder Gott. Aber selbst die Hüter der christlichen Doktrin konnten kein Universum voller Passionsgeschichten voraussetzen, also was blieb ?
    Unsere Einzigartigkeit auf Erden.
    Für uns hat Gott diese Welt bestimmt. Wir sind die göttliche Rasse mit dem Auftrag, uns die Erde untertan zu machen. Daran ändern Bewohner anderer Welten nichts, selbst wenn sie uns besuchen kämen. Dieser Planet ist unser Platz, und die anderen haben ihren. Auf seiner Welt ist jeder Gottes gewollte Rasse.
    Doch die Bastion ist gefallen. Die Yrr haben den letzten fundamentalen Anspruch des Christentums zunichte gemacht. Nicht nur die menschliche Vorherrschaft ist in Frage gestellt, sondern auch Gottes Plan. Schlimmer noch: Selbst wenn man sich damit abfände, dass Gott zwei gleichwertige Rassen auf Erden schuf, müssten die Yrr entweder eine Passionsgeschichte aufzubieten haben oder streng nach Seinen Geboten leben. Andernfalls hätten sie sich versündigt, aber dann wiederum stellt sich die Frage, warum Gott sie in Seinem Zorn nicht längst gestraft hat.
    Und die Yrr leben nicht nach Seinen Geboten. Allein, das fünfte Gebot zu befolgen, schließt ihre Biochemie aus. Was nur heißen kann, dass Gott a) nicht existiert, b) nicht die Kontrolle hat oder c) das Tun der Yrr gutheißt. Dann hätten wir uns einem Irrtum hingegeben, der so alt ist wie die Menschheit. Wir sind gar nicht gemeint gewesen!
    In solchen und ähnlichen Krämpfen winden sich die großen Religionen, verzehren sich Christentum, Islam und Judentum. Während sie noch definieren, analysieren und deuten, sind ihre Strukturen weitestgehend in sich zusammengebrochen, und mit ihnen die ohnehin maroden Börsen, die von Gottes finanzgewaltigem Wort abhängiger waren, als wir alle glaubten. Buddhismus und Hinduismus hingegen, die andere Lebensformen akzeptieren, erhalten beispiellosen Zulauf.
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