Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen
Autoren: Ortwin Ramadan
Vom Netzwerk:
Tuch zugehängt. Sobald es dunkelwurde, würde er einfach da raufgehen und es tun. Also suchte er sich einen Platz, von dem aus er den Eingang der Bar und das Fenster gut im Blick hatte. Anschließend machte er es sich neben dem Müllcontainer bequem, um auf die Dunkelheit zu warten. Als ein Fahrrad-Grillwagen an ihm vorbeirollte, kam ihm eine Idee. Er lief hinter dem Wagen her und opferte schweren Herzens einen seiner kostbaren Dollars, um eine Handvoll gegrillte Suya-Spieße zu kaufen. Der alte Mann betrachtete die Dollarnote misstrauisch von allen Seiten. Offenbar hielt er das Geld für falsch.
    »Hast du keine Naira?«
    Yoba hatte es eilig. »Nun mach schon, Großvater! Der Schein ist echt.«
    »Aber den kann ich nicht wechseln!«
    »Dann behalt den Rest, okay?« Yoba verwünschte jetzt schon den Tag, an dem er beschlossen hatte ein Black Eagle zu werden.
    Der glatzköpfige alte Mann betrachtete Yoba, als sei er von allen guten Geistern verlassen. Dann steckte er den Dollarschein ein und stieg von seinem Fahrrad. Mit einem Stück Karton fachte er die Glut in seinem Grillkasten an, dann legte er die mit gemahlenen Erdnüssen und Gewürzen marinierten Fleischspieße auf den selbst gebauten Drahtgrill. Das Fett tropfte in die Glut und verbrannte mit einem köstlichen Zischen. Yoba lief das Wasser im Mund zusammen. Als der alte Mann ihm die fertigen Spieße in ein Stück Zeitung gewickelt aushändigte, war er für einen kurzen Moment versucht diesen Leckerbissen sofort in sich hineinzustopfen. Immerhin hatte er seit Adaekes Bitterblatt-Suppe nichts mehr gegessen.
    Aber Yoba beherrschte sich. Eine quälende Stunde lang saß er neben dem Müllcontainer, verteidigte die verführerisch duftenden Suya-Spieße gegen die Fliegen und wartete. Die Sonne versank hinter den Blechdächern, doch die Hitze und der umherwehende Sand blieben. Das Gewühl auf den Straßen, das ständige Hupen und unaufhörliche Knattern der Mopeds wurde langsam weniger. Yoba dachte an den Swimmingpool und an Onkel Abeche. Er wollte nicht zum Mörder werden. Aber er konnte auch nicht einfach abhauen. Chi-Chi war schließlich in der Hand der Gang.
    In der hereinbrechenden Dunkelheit schlenderte Yoba wie zufällig über die Straße und betrat mit wackeligen Knien die Bar. Am Tresen hockten nur wenige Leute und tranken Bier. Aus einer Box unter der Decke wummerte ein Hip-Hop-Beat von 9ice. Als sich Yoba unauffällig Richtung Treppe bewegen wollte, versperrte ihm ein kleinwüchsiger Mann den Weg. Er trug einen knallgelben Trainingsanzug.
    »Halt!«, blaffte der Zwerg. »Was hast du hier zu suchen?« Die Tätowierung auf seinem Handrücken wies ihn als Mitglied der Blood Axes aus.
    »Ich … ich bringe nur Essen«, stotterte Yoba, während er ihm das Zeitungspaket hinhielt. »Der Mann aus dem ersten Stock hat aus dem Fenster gerufen. Ich soll ihm ein paar Suya bringen.«
    »Zeig her!« Der Gangster wickelte das vor Fett triefende Zeitungspapier auseinander.
    Yoba betete zu seinen Ahnen, dass ihn der Zwerg nicht durchsuchte und die Pistole in seinem Hosenbund fand. Zum Glück war er jedoch lediglich an den verführerisch duftendenFleischspießen interessiert. Wie selbstverständlich griff er sich die Hälfte, den Rest gab er Yoba zurück.
    »Wenn du in zwei Minuten nicht wieder da bist, komme ich dich suchen«, sagte er und biss in einen der immer noch lauwarmen Spieße.
    »Hey, Ike!«, rief ein Mann am Tresen dem Zwerg zu. »Wenn du weiterhin so viel frisst, wächst du noch in den Himmel!«
    Hinter Yoba brachen die Männer in Gelächter aus. Wie in Trance stieg er die Treppe in den ersten Stock hinauf. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Im Flur roch es nach Urin, draußen im Innenhof fauchten zwei streitende Katzen. Während seiner Wartezeit vor dem Haus hatte er genug Zeit gehabt, um sich zu überlegen, wo das Zimmer des Verräters lag. Es musste die zweite Tür auf der rechten Seite sein. Als er davorstand, atmete er mehrmals tief durch, um sein pochendes Herz zu beruhigen. Erst danach klopfte er an die Tür. Nichts geschah. Yoba klopfte erneut. Diesmal antwortete ihm eine tiefe Stimme.
    »Was ist?«
    »Ich bringe was zu essen!«
    »Ich habe nichts bestellt. Verschwinde!«
    »Ike schickt mich!«
    Stille. Yoba hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Plötzlich drehte sich der Schlüssel und die Tür öffnete sich. Sie quietschte leise. Yoba griff mit der Rechten hinter seinen Rücken und legte seine Hand um den kalten Pistolengriff. Im Türspalt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher