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Der Schock: Psychothriller (German Edition)

Der Schock: Psychothriller (German Edition)

Titel: Der Schock: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Marc Raabe
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Fjodors Hals und rissen die Schneide nach vorne. Ein schwacher Blutstrom quoll aus der Halsschlagader, ein paar Tropfen spritzten in sein Gesicht.
    Mit einem Gurgeln und einem langgezogenen Seufzer verstummte Fjodor.
    Laura hielt immer noch Jans Hand mit dem Messer fest und sank hinter ihm auf die Knie.
    »Verzeih«, sagte sie. »Er hat schon mein ganzes Leben vergiftet. Ich will nicht, dass das noch weitergeht.«

Kapitel 56
    Berlin, 5. November, 09:33 Uhr
    Jan öffnete die Tür der Pforte der Justizvollzugsanstalt Moabit und trat ins Freie. Noch immer hinkte er ein wenig.
    Der Himmel lag schwer und grau über der Stadt. Pulverige Flocken fielen auf den trockenen kalten Boden. Im Sog des Verkehrs auf der Straße Alt-Moabit trieb der Schnee über die Fahrbahn und tanzte zwischen den Scheinwerfern der Autos.
    Jan stieß eine Atemwolke in die frostige Luft. Er war nicht auf den plötzlichen Wintereinbruch vorbereitet, und die grimmige Kälte fuhr ihm unter die zu dünne Windjacke. Rasch ging er am runden, ziegelroten Wachturm der JVA Moabit vorbei und auf das wuchtige offenstehende Gittertor der Pforte zu. In seinem Rücken ragte die Strafanstalt auf, der sternförmige Bau mit seinen 1300 Haftplätzen.
    Die zwei Wochen Untersuchungshaft hatten ihm zugesetzt. Obwohl er die meiste Zeit im Haftkrankenhaus der JVA verbracht hatte. Mit seinen Schussverletzungen habe er geradezu unverschämtes Glück gehabt, wurde ihm von den Ärzten versichert. Keine verletzten Organe, keine zertrümmerten Knochen. Die Smith&Wesson war mit Vollmantelgeschossen geladen gewesen, so dass der Schuss in die Seite einen sauberen Schusskanal und eine kleine Austrittswunde hinterlassen hatte. Auch die Wunde am Bein war weniger schlimm, als es zunächst ausgesehen hatte.
    Nach einer kurzen Schonfrist hatten die Befragungen begonnen. Nicht enden wollende Verhöre, bohrende, sich ständig wiederholende Fragen – immer wieder beschlich ihn das Gefühl, dass niemand ihm glaubte. Die ganze Geschichte kam ihm ja selbst so ungeheuerlich vor, dass er sie kaum glauben konnte.
    Dann endlich hatte Paul Stegner, sein Strafverteidiger, gesagt, dass es vorbei sei. Am nächsten Morgen könne er die Anstalt verlassen.
    Das war jetzt.
    Am Gittertor sah Jan eine dick eingemummelte Gestalt. Sein Herz schlug schneller, als er über die Schwelle des Tors trat. Er hatte den Moment herbeigesehnt, und zugleich fürchtete er ihn. Während der U-Haft hatte Laura ihn nicht besuchen dürfen, da sie, ebenso wie Katy, Zeugin war. Verdunklungsgefahr, hatte es geheißen. Dass Laura seine Hand mit dem Messer in Fjodors Hals gestoßen hatte, verschwieg er.
    Er wusste, dass Laura Fragen haben würde. Und dann war da noch das, was Fjodor ihm gesagt hatte. Wie Gift hatten sich die letzten Worte von Lauras Vater in seine Gedanken geschlichen. Und er war sich immer noch nicht sicher, ob es ein letzter Beleg für Fjodors Wahnsinn war, für seinen unbedingten Willen, selbst über seinen Tod hinaus noch die Fäden in der Hand zu halten, oder ob etwas Wahres daran war.
    Laura sah aus, wie für einen sibirischen Winter gerüstet, mit einem übergroßen dunklen Männermantel, darunter eine robuste dunkelbraune Jeans, stabile Stiefel, und um den Hals trug sie einen dicken Wollschal. Die Haare hatte sie unter einer Wollmütze hochgesteckt, in der sich Schneeflocken fingen.
    »Hey«, sagte sie.
    Jan umarmte sie.
    Ihre Wange lag kalt an seiner, offenbar wartete sie schon länger. Sie roch nach Fahrenheit, und er musste an ihre letzte Umarmung denken, im weiß gefliesten Keller ihres Vaters. Kein Fahrenheit, nur Ruß, kalter Schweiß, der Geruch von Tod und den chemischen Stoffen des Kunstharzes.
    Er küsste sie, und trotz der Kälte wurde ihm warm. Wie machte sie das, verdammt? Er war Mitte dreißig und fühlte sich, wie schon in Frankreich, als wäre er zurückgekehrt auf den Schulhof, wo er genau diesen Augenblick herbeigesehnt hatte. Zwanzig Jahre, und an seinen Gefühlen hatte sich nichts geändert.
    Und zugleich war alles anders.
    Laura löste ihre Lippen von seinen. Warmer Atem dampfte in der Luft. Sie blickte kurz hoch, in den Himmel. »Immer wenn wir uns küssen, dann regnet oder schneit es.«
    »Besser Schnee in Berlin als Regen an der Côte d’Azur.«
    Laura knöpfte den Mantel auf. Darunter kam ein taillierter hellbrauner Tweedmantel mit Gürtel zum Vorschein. »Ich dachte, dir ist vielleicht kalt.« Sie reichte Jan den Mantel.
    Dankbar nahm er ihn und schlüpfte hinein.
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