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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig
Autoren: Georges Simenon
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Arbeit, weißt du. Ich weiß nicht, ob es die Zeit ist …«
    Was können sie sich noch sagen? Welten trennen sie, eine abgrundtiefe Leere. Sogar dieses parfümierte Taschentuch, das in diesem Raum so viel Bedeutung gewinnt, daß Lotte es merkt, und es in die Tasche steckt.
    »Hör zu, Frank …«
    »Ja.«
    »Du bist jung …«
    »Das hast du mir schon gesagt.«
    »Ich weiß besser als du, daß du nicht schlecht bist. Sieh mich nicht so an. Ich habe immer nur an dich gedacht, ich habe seit deiner Geburt alles für dich getan, und ich würde jetzt den Rest meines Lebens dafür geben, daß du glücklich bist.«
    Es ist nicht seine Schuld, wenn er, ohne es zu wollen, zerstreut ist. Er versteht kaum noch, was die Worte bedeuten sollen. Er betrachtet Minnas Handtasche. Sie ist, nur in Rot, genau die gleiche, die Sissy in Schwarz hatte. Jene Tasche mit dem Schlüssel, die er hochhielt und dann schließlich auf einen Schneehaufen legte. Er hat nie erfahren, ob sie die Tasche geholt hat.
    »Ich habe ihnen gesagt, daß du Kromer kennst, weil es die Wahrheit ist. Er war dein Freund, und ich will nicht mehr, daß du ihn verleugnest. Man wird mir nicht ausreden, daß er dein böser Geist gewesen ist. Und er ist schlau genug gewesen, sich aus dem Staub zu machen und dich im Stich zu lassen.«
    Ist sie gekommen, um ihm mitzuteilen, daß Kromer in Sicherheit ist? Er sitzt zu nahe am Ofen. Es ist heiß. Durch das Fenster – es ist das erstemal, daß er an dieser Stelle sitzt – sieht er das Tor, das Schilderhaus, den Wachtposten und ein Stück der Straße. Aber der Anblick der Straße und der vorüberfahrenden Straßenbahnen läßt ihn kalt.
    »Du mußt ihnen unbedingt die ganze Wahrheit sagen. Alles, was du weißt. Sie werden es dir anrechnen. Ich bin dessen sicher. Ich habe Vertrauen.«
    Nie hat der Chef so fern gewirkt.
    »Vielleicht bekomme ich morgen die Erlaubnis, ein Paket für dich abzugeben. Was möchtest du gern haben?«
    Er schämt sich für sie, für sich, für sie alle. Er ist müde. Am liebsten möchte er antworten: ›Scheiße.‹
    Früher hätte er das gesagt. Inzwischen hat er Geduld gelernt. Oder vielleicht ist es nur die Schwäche, die ihn flüstern läßt: »Was du willst.«
    »Es ist nicht gerecht, daß du für die anderen bezahlst, verstehst du? Auch ich habe, ohne es zu wollen, viel Schlechtes getan. Ich sehe es jetzt ein.«
    Und sie bezahlt dafür, indem sie sich dazu hergibt, daß ihr Bordell eine Falle wird. Das Merkwürdigste ist, daß Frank das vor vier oder fünf Monaten durchaus in Ordnung gefunden hätte. Übrigens entrüstet er sich auch jetzt nicht darüber. Er denkt an etwas anderes. Während der ganzen Unterhaltung hat er an etwas anderes gedacht, ohne zu merken, daß sein Blick unverwandt auf Minnas Handtasche ruhte.
    »Sag ihnen offen, was du weißt. Versuch nicht, sie hinters Licht zu führen. Du wirst bestimmt herauskommen. Ich werde dich gut pflegen und …«
    Er hört nicht mehr hin. Das alles ist so fern. Er ist immer schläfrig, und zu bestimmten Stunden des Tages, vor allem morgens, ist er schwindelig. Das ist die Erschöpfung.
    Sie erhebt sich. Sie riecht gut. Sie trägt einen Pelz um den Hals und wirkt ganz wie eine Dame.
    »Versprich es mir, Frank, versprich es deiner Mutter. Minna, sag ihm auch …«
    Minna, die ihn nicht anzusehen wagt, stammelt mühsam: »Ich bin sehr unglücklich, Frank.«
    Und Lotte fährt fort:
    »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du haben möchtest.«
    Da spricht er die Worte aus. Er ist selber am meisten verblüfft darüber. Er hatte geglaubt, daß das viel später, ganz am Ende kommen würde. Er fühlt sich plötzlich übermüdet. Er spricht, ohne nachgedacht zu haben, ohne zu merken, daß er eine Entscheidung gefällt hat.
    Leise sagt er, sich nur bewußt, was diese Worte für ihn, für ihn allein bedeuten: »Könnte ich nicht einmal Holst sprechen?«
    Da geschieht etwas Bestürzendes. Nicht seine Mutter antwortet ihm. Sie wird übrigens gar nicht begriffen haben. Sie muß sich ganz verloren vorkommen. Minna hat ein Schluchzen unterdrückt. Sie weiß mehr davon als Lotte.
    Aber der Chef hat aufgeblickt, ihn angesehen und gefragt: »Meinen Sie Gerhard Holst?«
    »Ja.«
    »Merkwürdig.«
    Er kramt unter seinen Zetteln, fischt schließlich einen heraus und betrachtet ihn aufmerksam. Während der ganzen Zeit hält Frank den Atem an.
    »Er ist gerade um eine Besuchserlaubnis eingekommen.«
    »Um mich zu besuchen?«
    »Ja.«
    Er macht dennoch keinen
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