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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
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ein guter Psychologe und ein guter Mensch. Fast schon ein Freund. Es ist ja nicht so, als ob du unter tausend Freunden die freie Auswahl hättest. Also hör auf mit deinen Zweifeln und vertraue ihm.
    Das hasste und fürchtete sie am meisten - wenn eine der Stimmen sie direkt ansprach. Manchmal besetzten sie regelrecht ihr Gehirn. Manchmal wusste sie nicht mehr, wer da eigentlich dachte, sie selbst oder ein anderer in ihr.
    Verpiss dich, dachte sie. Lass mich in Ruhe.
    Lasst sie schlafen. Sie hat genug durchgemacht. Morgen ist auch noch ein Tag.
    Ja, dachte sie. Schlafen. Und nicht mehr aufwachen. Niemals mehr. Sie fühlte sich so kraftlos, so ausgelaugt, dass sie die Augen nicht länger offen halten konnte.
    So ist’s gut, Kleines. Mach die Augen zu.
    Von Weitem hörte sie, wie jemand ein Schlaflied sang. Es kreiselte sacht in ihrem Kopf und sank dann in ihr nieder wie in eine tiefe, dunkle Höhle.
     

Kapitel 3
    Das Klingeln des Telefons riss ihn aus einem Albtraum. Die Verfolger waren immer näher gekommen. Durch ein kleines Loch in der Wand hatte Bert ihre Gesichter gesehen. Eines hatte er erkannt. Es war Margots Gesicht gewesen.
    In sein Entsetzen hinein klingelte das Telefon.
    »Melzig.«
    Seine Stimme war vom Schlaf belegt. Sie klang unwirsch, das hörte er selbst. Es fiel ihm nicht leicht, den Traum abzuschütteln. Und zuzuhören. Sie waren an diesem Abend schon gegen neun ins Bett gegangen, um endlich einmal genug Schlaf zu bekommen. Blinzelnd schaute er auf den Wecker. Viertel nach zehn. Mehr als diese eine Stunde Schlaf würde ihm heute Nacht wohl nicht vergönnt sein.
    »Ich bin in zwanzig Minuten da.«
    Er drückte das Gespräch weg und setzte sich auf. Mondlicht floss ins Zimmer. Bettzeug raschelte. Margot wurde jedes Mal wach, obwohl er sich bemühte, leise zu sein.
    »Musst du weg?«
    »Schlaf weiter.«
    Seine Antwort war beleidigend brüsk. Aber wie konnte er liebevoll mit einer Frau umgehen, die ihn gerade verraten hatte? Er glaubte an die Symbolkraft von Träumen. Er glaubte an sein Unterbewusstsein. Und er hatte schon lange das Gefühl, dass seine Ehe nicht mehr zu retten war.
    »Willst du einen Kaffee?«
    Seine Bedürfnisse waren ihr seit Jahren so gleichgültig, dass er ihre Frage geradezu absurd fand. Seit wann kümmerte es sie, ob er vor einem Nachteinsatz einen Kaffee brauchte oder nicht?
    »Nee. Lass mal.«
    Sie schlief augenblicklich wieder ein. Ihre regelmäßigen Atemzüge waren das einzige Geräusch im Zimmer.
    Bert liebte die Dunkelheit. Im Dunkeln war alles klar und deutlich. Da belog man sich nicht. Da sah man seinen Fehlern ins Gesicht.
    Und seinen Gespenstern. Es wurden mehr von Jahr zu Jahr.
    Er schlüpfte in Hemd und Hose und schlich zur Tür. Erst im Bad zog er sich fertig an. Er trank ein Glas Wasser in der Küche, horchte auf die Stille und sammelte sich. Dann griff er nach seiner Jacke und verließ geräuschlos das Haus.
    Eine Leiche in der Einliegerwohnung der alten Kleiderfabrik, hatten sie gesagt. Männlich. Anscheinend erschlagen. Und erstochen.
    Erschlagen und erstochen? Zwei Arten von Verletzungen. Bert spürte, wie sein Magen sich zusammenzog. Wann würde er sich endlich daran gewöhnen? Würde es ihm jemals gelingen, sich gegen den Schock abzuschotten, der ihn beim Anblick eines ermordeten Menschen überfiel?
    Manchmal kam ihm sein Leben ganz und gar unwirklich vor. Es wechselte zwischen Tag und Nacht, Aufregung und Routine, Hoffen und Wissen. Schwankte von einem Extrem zum andern. Es fand in einem Rhythmus statt, den andere vorgaben. Menschen, die eine Grenze überschritten hatten. Straftäter. Das deutsche Strafrecht, dachte Bert oft, hatte ein so distanziertes Vokabular, dass einem bei manchen Wörtern kalt wurde.
    Um einen Mörder zu fassen, musste Bert die Gedanken eines Mörders nachvollziehen können. Um einem Psychopathen auf die Spur zu kommen, musste er sich der bizarren Logik eines Psychopathen nähern. Dass ihm das häufig mühelos gelang, bereitete ihm Sorgen.
    »Weil du im Grunde selber einer bist«, hatte Margot ihm einmal vorgeworfen. Mit einem Lächeln auf den Lippen zwar, aber der Hieb hatte ihn getroffen. Vielleicht hatte Margot ja recht. Vielleicht war er zu kompliziert für ein Familienleben. Vielleicht war er fürs Alleinsein geschaffen und für die Einsamkeit.
    Noch nie war er als Erster zu einem Tatort gekommen. Immer erwarteten ihn bereits die Kollegen von der Schutzpolizei. Die Scheinwerfer ihrer Wagen zerschnitten auch diesmal das Dunkel.
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