Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
zugeschleudert. Der Mann mit der Laterne stand immer noch da. Anastasie schloß die Augen, und es war ihr, als ob sie sterben müsse. Wie sie durch den Bogen hindurchgehoben wurde, wußte sie nicht; sowie sie jedoch auf der anderen Seite angekommen war, wurde sie von der Nachbarsfrau in Empfang genommen und in freundliche Tücher gehüllt.
    Betten wurden für die beiden Frauen zurechtgemacht, Kleidungsstücke jeder Größe für den Doktor und Jean-Marie, und den Rest der Nacht, während Madame halb wachend, halb schlafend in den Regionen hart an der Grenze der Hysterie weilte, saß ihr Gatte neben dem Feuer und hielt den bewundernden Nachbarn Vorträge. Er zeigte ihnen des langen und breiten die Ursachen des Unglücks. Seit Jahren, erklärte er, sei der Zusammensturz zu befürchten gewesen. Ein Zeichen wäre dem anderen gefolgt. Die Fugen hätten sich erweitert, der Wandbewurf wäre abgeblättert, die alten Mauern hatten sich nach innen gebogen. Schließlich, vor noch nicht drei Wochen, wäre die Kellertür kaum noch auf- und zugegangen. »Der Keller!« meinte er, bedenklich über einem Glase angewärmten Weines den Kopf schüttelnd. »Das erinnert mich an meine armen Weine. Dank einer freundlichen Vorsehung war der Hermitage beinahe zu Ende. EineFlasche – eine einzige Flasche dieses unvergleichlichen Weines ist mir verloren gegangen. Ich hatte sie für Jean-Maries Hochzeit aufgehoben. Nun, ich werde mir neuen hinlegen müssen; das wird meinem Leben noch Interesse verleihen. Ich bin jedoch in den Jahren schon etwas vorgerückt. Mein großes Werk liegt nun unter den Trümmern meines schlichten Heims begraben; es wird niemals vollendet werden – mein Name wird in den Sand geschrieben sein. Dennoch sehen Sie mich ruhig – ja fast heiter. Können Ihre Priester mehr?«
    Bei dem ersten Morgenstrahl verließen sie den Kamin und begaben sich auf die Straße. Der Wind war abgeflaut, trieb aber nach wie vor eine Welt unruhiger Wolken vor sich her. Die Luft war schneidend wie bei Frost, und die ganze Gesellschaft klopfte sich, während sie in der regnerischen Morgendämmerung unter den Ruinen umherstand, auf die Brust und blies sich erwärmend in die Hände. Das Haus war gänzlich zusammengestürzt, die Mauern nach außen, das Dach nach innen. Es war nur mehr ein Schutthaufen, aus dem stellenweise ein zersplitterter Balken emporragte. Eine Wache wurde bei den Trümmern aufgestellt, um das Eigentum der Besitzer zu schützen, und die ganze Gesellschaft begab sich zu Tentaillon, um auf Kosten des Doktors zu frühstücken. Hierbei kreiste die Flasche ergiebigst, und noch bevor sie vom Tische ausstanden, hatte es zu schneien begonnen.
    Drei Tage lang schneite es unaufhörlich, und die mit Öltuch zugedeckten und von einer Schildwache gehüteten Ruinen blieben unberührt. Die Desprez wareninzwischen zu Tentaillons gezogen. Madame brachte ihre Zeit in der Küche zu, wo sie mit Hilfe der bewundernden Madame Tentaillon kleine Leckerbissen bereitete, oder sie saß, in Gedanken versunken, neben dem Feuer. Der Fall des Hauses hatte sie merkwürdig wenig mitgenommen. Der Schlag war durch einen zweiten pariert worden. In Gedanken kämpfte sie den Kampf mit den Hosen ständig immer wieder durch. Hatte sie recht oder unrecht getan? Einmal lobte sie sich wegen ihrer Standhaftigkeit, dann wieder mit einem bitteren Erröten vergeblicher Reue beklagte sie den Verlust der Hosen. Keine Krise in ihrem Leben hatte ihre Urteilskraft auf eine so harte Probe gestellt. Inzwischen hatte sich der Doktor mit ungeheurer Genugtuung in die Situation hineingefunden. Zwei der Sommerpensionäre waren in Erwartung von Geldsendungen als Gefangene dort zurückgeblieben. Beide waren Engländer, aber der eine sprach ziemlich fließend Französisch, und war außerdem ein humorvoller, geistig beweglicher Bursch, mit dem der Doktor in dem sicheren Gefühl, verstanden zu werden, stundenlang debattieren konnte. Manch ein Glas leerten sie zusammen, und zahlreich waren die Themata, die sie berührten.
    »Anastasie,« sagte der Doktor am dritten Morgen, »nimm dir ein Beispiel an deinem Gatten, an Jean-Marie. Die Aufregung hat bei dem Jungen besser angeschlagen als alle meine Kräftigungsmittel. Er absolviert seinen Dienst als Schildwache mit wahrer Begeisterung. Und was mich betrifft, so sieh mich doch an. Ich habe mit den Ägyptern Freundschaft geschlossen,und mein Pharao, ich versichere es dir, ist sogar ein äußerst angenehmer Mensch. Du allein bist verstimmt. Wegen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher