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Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard
Autoren: Robert Louis Stevenson
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müssen ihm unsere Gefühle zum Opfer bringen.«
    »Ich hoffe, meine Liebe, du hast mich noch niemals einem Opfer abgeneigt gefunden,« meinte der Doktor äußerst steif.
    »Du erlaubst mir also, ihm zu sagen, daß du eingewilligt hast? Das sieht deinem edlen Charakter ähnlich,« rief sie.
    In der Tat! So war es! Das sah er sofort ein. Gleich stieg seine Laune, sie triumphierte bei dem Gedanken.
    »Geh, mein Liebling,« sagte er edelmütig. »Das Thema ist zwischen uns begraben; mehr noch – ich werde mir Mühe geben – meinen Willen habe ich an derartige Anstrengungen gewöhnt – und die Sache ist vergessen.«
    Kurz daraus erschien Jean-Marie in tödlicher Verlegenheit und mit geschwollenen Augen, und machte sich ostentativ an seine Arbeit. Von denen, die sich an jenem Abend zu Tische setzten, war er der einzig Unglückliche. Der Doktor strahlte förmlich. Dem Schatze sang er, wie folgt, das Requiem:
    »Im großen und ganzen,« sagte er, »ist diese ganze Episode höchst amüsant gewesen. Wir sind um keinenPfennig ärmer geworden, im Gegenteil, wir haben enorm gewonnen. Unsere Philosophie wurde in Bewegung gesetzt; etwas von der Schildkröte ist auch noch übrig geblieben – von dieser bekömmlichsten aller Delikatessen; ich habe meinen Stock, Anastasie ihr neues Kleid, Jean-Marie ist der glückliche Besitzer eines schicken Käppi. Außerdem gab es gestern abend ein Gläschen Hermitage; sein Feuer durchglüht mich noch immer. Ich fing an, in bezug auf den Hermitage geradezu geizig zu werden, geizig, sage ich. Laßt mich den Wink beherzigen: eine Flasche tranken wir, um das Auftauchen unseres visionären Reichtums zu feiern; die zweite Flasche soll uns über sein Verschwinden trösten. Die dritte dediziere ich hiermit Jean-Marie zu seiner Hochzeit.«

Siebtes Kapitel: Der Fall des Hauses Desprez
    Dem Doktorhause ist noch nicht die Ehre einer Beschreibung zuteil geworden, und es ist jetzt hohe Zeit, daß dies Versäumnis nachgeholt werde, denn das Haus selbst gehört zu den handelnden Personen dieser Geschichte, zu denen, deren Rolle beinahe ausgespielt ist. Zweistöckig, mit Mauern in warmem Gelb und uralten rotbraunen Ziegeln, die mit Moos und Flechten bunt geschmückt waren, stand es mit der einen Straßenwand in einem Winkel zu des Doktors Besitztum. Es war geräumig, zugig und unpraktisch.In die schweren Balken waren hie und da rohe Zeichen und Muster eingegraben; das Treppengeländer war in ländlichen Arabesken geschnitzt; eine feste Säule aus Holz, deren Pflicht es war, das Speisezimmerdach zu stützen, trug auf ihrer Schattenseite geheimnisvolle Schriftzüge, Runen, wenn man dem Doktor glauben wollte. Auch versäumte er nie, wenn er die legendäre Geschichte des Hauses und seiner Besitzer erzählte, bei dem skandinavischen Gelehrten zu verweilen, dessen Hinterlassenschaft sie waren. Dielen, Türen und Balken bildeten die verschiedenartigsten Winkel; jeder Raum hatte eine besondere Ebene; der Giebel hatte sich nach Art eines schiefen Turms in den Garten hinübergesenkt, und einer der früheren Besitzer hatte das Gebäude von der Seite her mit einer schweren Holzstrebe, ähnlich dem Drehkahn eines Kranes, gestützt. Im großen und ganzen wies es zahlreiche Merkmale des Verfalles auf; es war ein Haus, das die Ratten verlassen hätten, und nichts als seine glänzende Sauberkeit – die geputzten, leuchtenden Fensterscheiben, der klare Farbanstrich, das strahlende Messing, ja selbst die ganz mit Kletterpflanzen überwucherte Stütze – nichts, seine Ähnlichkeit mit einem wohlgepflegten, lächelnden Veteranen ausgenommen, der mitsamt Krücke und allem Zubehör in einem sonnigen Winkel des Gartens sitzt – machte es zu einem für Bequemlichkeit liebende Menschen bewohnbaren Hause. Unter schlechter oder achtloser Verwaltung wäre es gar bald in das Landstreicherstadium des Verfalls übergegangen. So, wie es war, liebte es die ganze Familie, und der Doktor war niemals so poetisch angehaucht,wie wenn er seine imaginäre Geschichte erzählte oder die Charaktere seiner verschiedenen Herren schilderte, von dem jüdischen Kaufmann an, der nach der Einäscherung der Stadt seine Mauern neu errichtete, über den geheimnisvollen Runenschnitzer bis zu dem langschädeligen, schmutzigen Knoten, von dem er es selbst unter ungeheuren Kosten erworben hatte. Was seine Dauerhaftigkeit anbetraf, so war ihm niemals der Gedanke gekommen, daran zu zweifeln. Was vier Jahrhunderte lang gestanden hatte, konnte wohl noch ein wenig
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