Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Autoren: Maggie Furey
Vom Netzwerk:
entdeckte er einen kleinen Höcker unter einem Haufen Decken und ein braunes Haarbüschel auf dem Kissen. »Annas«, rief er aus. »Annas!«
    Kein Laut kam aus dem Himmelbett. In dem Haufen Bettzeug gab es nicht die leiseste Bewegung. Eine entsetzliche Angst griff nach seinem Herzen. Er stürmte durch den Raum und zog die Decken zur Seite, voller Furcht, was er dort finden mochte, doch das kleine Mädchen schien nur zu schlafen: Ihre Wangen waren leicht gerötet, ihr Atem ging gleichmäßig. Warum hatte sie ihn nicht rufen hören? Warum wachte sie nicht auf?
    »Annas?«, rief er wieder und schüttelte sie sacht an der Schulter. »Annas, Liebchen, ich bin’s – Papi ist hier. Jetzt wird alles wieder gut. Ich bin gekommen, dich zu holen.«
    Einen Augenblick lang geschah nichts, dann schlug das Kind die Augen auf. Wimmernd schlang sie die Arme um seinen Hals und begann heftig zu schluchzen.
     
    Im Hof hinter der Küche wartete Scall bei den Pferden. Er war unruhig, weil er bezweifelte, sich dort aufhalten zu dürfen. Zudem fühlte er sich von der Pracht des Hauses und seiner stattlichen Größe eingeschüchtert. Die unzähligen Fenster schienen ihn alle anzusehen wie eine Vielzahl anklagender Augen, und im nächsten Moment, da war er sicher, würde sich die Hintertür öffnen, und die ärgerliche Dienerschaft käme heraus, um ihn auf die Straße zu werfen.
    Außerdem war ihm unbehaglich zumute, weil es dämmerte, und in den Hofecken an der hohen Mauer war es schon recht dunkel. Es hatte wieder angefangen zu nieseln, doch das machte ihm nichts aus. Etwas anderes, bedrückte ihn so sehr – ein unheimliches, verstörendes Gefühl, wie ein unbestimmbares Kribbeln im Rücken: das Gefühl, nicht allein zu sein. Den Pferden, ganz zu schweigen von dem unduldsamen Esel, schien es hier noch weniger zu gefallen, denn sie schnaubten in einem fort und scharrten mit den Hufen, schüttelten ihre Mähne und tänzelten hin und her.
    Scall wurde immer unruhiger. Seriemas Pferde standen in den Ställen des Heiligen Bezirks, also gab es hier keine Box, wo er die Tiere hätte einpferchen können. Er hatte sie nur an den Mauerringen angebunden, die zu diesem Zweck da waren, und trotzdem alle Hände voll damit zu tun, seine Schützlinge ruhig und in seiner Gewalt zu halten. Es waren zu viele Pferde, die beiden Tiere der Soldaten, der Esel, zwei Sefrianer und die hübsche kleine Fuchsstute, die er schon als sein Eigentum betrachtete. Falls sie sich losrissen und in Panik gerieten, wäre er hilflos.
    Der Junge ließ den Blick über den Hof schweifen. Da gab es wenig zu sehen: einen Wäscheplatz, zwei eingetopfte Sträucher neben der Küchentür, eine Pumpe mit einem langen, gebogenen Schwengel und ein schmales Eisentor, das, wie Scall bereits herausgefunden hatte, zu einem kleinen Garten führte, wo in der Mitte ein Wasserbecken stand. »Na also«, sagte er zu sich, »nichts Ungewöhnliches.« Warum war dann aber den Pferden so unheimlich?
    Ein leises Rauschen in der Luft veranlasste ihn, sich zum Haus hin umzudrehen. Aber auch dort war nichts zu sehen. Nur die große eindrucksvolle Villa in der Dämmerung, die tiefhängenden Wolken und ein paar Nebelschwaden, die an dem hässlichen Wasserspeier auf dem Dach vorbeizogen.
    Scall stieß einen Schrei aus, als dieser Wasserspeier die Flügel spannte und sich in die Luft erhob.
     
    Tormon wiegte seine weinende Tochter in den Armen. Auch sein Gesicht war tränennass. Lieber Myrial, betete er, nach allem, was sie durchgemacht hat, mach, dass sie gesund ist. Bitte, hilf, dass sie mir verzeihen kann, dass ich sie allein gelassen habe und ihre Mutter deswegen getötet wurde. Kanellas Gesicht schwebte wie ein anklagender Geist vor seinen Augen. Wie sehr er sich auch bemühte, er konnte es einfach nicht fassen, dass sie wirklich nicht mehr war und dass er das Kind nun allein würde großziehen müssen. Dieser Gedanke ermahnte ihn aufzubrechen. Er hatte beschlossen, die Zeit zu nutzen, wenn alle Welt am Großen Opfer teilnahm. Dann würden sie am sichersten aus Tiarond hinausgelangen. Und wie er Elion gesagt hatte, würde er niemals zurückkehren. Vielleicht könnte er noch ein paar Vorräte aus Seriemas Küche mitnehmen. Da sie so freundlich gewesen war, sein Kind in Obhut zu nehmen, würde sie Annas sicher nicht das bisschen Essen neiden …
    Plötzlich stieg ihm zu Bewusstsein, was eigentlich er vorhin beobachtet hatte: Seriema mit blaugeschlagenem Gesicht und zerrissenem Kleid, dieser Diener und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher