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Der Sandmann

Der Sandmann

Titel: Der Sandmann
Autoren: E.T.A. Hoffmann
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zähnfletschend! - riß mich auf und warf mich auf den Herd, daß die Flamme mein Haar zu sengen begann: "Nun haben wir Augen -
    Augen - ein schön Paar Kinderaugen." So flüsterte Coppelius, und griff mit den Fäusten glutrote Körner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte.
    Da hob mein Vater flehend die Hände empor und rief. "Meister! Meister! laß meinem Nathanael die Augen - laß sie ihm!"
    Coppelius lachte gellend auf und rief. "Mag denn der Junge die Augen behalten und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den Mechanis-mus der Hände und der Füße recht observieren."
    Und damit faßte er mich gewaltig, daß die Gelenke knackten, und schrob mir die Hände ab und die Füße und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein. "'s steht doch überall nicht recht! 's gut so wie es war! - Der Alte hat's verstanden!"
    So zischte und lispelte Coppelius; aber alles um mich her wurde schwarz und finster, ein jäher Krampf durchzuckte Nerv und Gebein - ich fühlte nichts mehr.
    Ein sanfter warmer Hauch glitt über mein Gesicht, ich erwachte wie aus dem Todesschlaf, die Mutter hatte sich über mich hingebeugt.
    "Ist der Sandmann noch da?" stammelte ich.
    "Nein, mein liebes Kind, der ist lange, lange fort, der tut dir keinen Schaden!" -
    So sprach die Mutter und küßte und herzte den wiedergewonnenen Liebling.
    Was soll ich Dich ermüden, mein herzlieber Lothar! was soll ich so weitläufig einzelnes hererzählen, da noch so vieles zu sagen übrig bleibt? Genug! - ich war bei der Lauscherei entdeckt, und von Coppelius gemißhandelt worden. Angst und Schrecken hatten mir ein hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag.
    "Ist der Sandmann noch da?" - Das war mein erstes gesundes Wort und das Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. - Nur noch den schrecklichsten Mo-ment meiner Jugendjahre darf ich Dir erzählen; dann wirst Du überzeugt sein, daß es nicht meiner Augen Blödigkeit ist, wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern, daß ein dunkles Verhängnis wirklich einen trüben Wolkenschleier über mein Leben gehängt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreiße.
    Coppelius ließ sich nicht mehr sehen, es hieß, er habe die Stadt verlassen.
    Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unveränderten Sitte gemäß abends an dem runden Tische saßen. Der Vater war sehr heiter und erzählte viel Ergötzliches von den Reisen, die er in seiner Jugend gemacht. Da hörten wir, als es neune schlug, plötzlich die Haustür in den Angeln knarren und langsame ei-senschwere Schritte dröhnten durch den Hausflur die Treppe herauf.
    "Das ist Coppelius", sagte meine Mutter erblassend.
    "Ja! - es ist Coppelius", wiederholte der Vater mit matter gebrochener Stimme.
    Die Tränen stürzten der Mutter aus den Augen.
    "Aber Vater, Vater!" rief sie, "muß es denn so sein?"
    "Zum letzten Male!" erwiderte dieser, "zum letzten Male kommt er zu mir, ich verspreche es dir. Geh nur, geh mit den Kindern! - Geht - geht zu Bette! Gute Nacht!"
    Mir war es, als sei ich in schweren kalten Stein eingepreßt - mein Atem stockte!
    - Die Mutter ergriff mich beim Arm als ich unbeweglich stehen blieb: "Komm Nathanael, komme nur!" Ich ließ mich fortführen, ich trat in meine Kammer.
    "Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins Bette! - schlafe - schlafe", rief mir die Mutter nach; aber von unbeschreiblicher innerer Angst und Unruhe gequält, konnte ich kein Auge zutun.
    Der verhaßte abscheuliche Coppelius stand vor mir mit funkelnden Augen und lachte mich hämisch an, vergebens trachtete ich sein Bild los zu werden. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, als ein entsetzlicher Schlag geschah, wie wenn ein Geschütz losgefeuert würde. Das ganze Haus erdröhnte, es rasselte und rauschte bei meiner Türe vorüber, die Haustüre wurde klirrend zugeworfen.
    "Das ist Coppelius!" rief ich entsetzt und sprang aus dem Bette.
    Da kreischte es auf in schneidendem trostlosen Jammer, fort stürzte ich nach des Vaters Zimmer, die Türe stand offen, erstickender Dampf quoll mir entgegen, das Dienstmädchen schrie: "Ach, der Herr! - der Herr!" - Vor dem dampfenden Herde auf dem Boden lag mein Vater tot mit schwarz verbranntem gräßlich ver-zerrtem Gesicht, um ihn herum heulten und winselten die Schwestern - die Mutter ohnmächtig daneben!
    "Coppelius, verruchter Satan, du hast den Vater erschlagen!" - So schrie ich auf, mir vergingen die Sinne.
    Als man zwei Tage darauf meinen Vater in den Sarg legte, waren seine
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