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Der Sandmann

Der Sandmann

Titel: Der Sandmann
Autoren: E.T.A. Hoffmann
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mit fürchterlicher Stimme immerfort:
    "Holzpüppchen dreh dich" und schlug um sich mit geballten Fäusten. Endlich gelang es der vereinten Kraft mehrerer, ihn zu überwältigen, indem sie ihn zu Boden warfen und banden. Seine Worte gingen unter in entsetzlichem tierischen Gebrüll. So in gräßlicher Raserei tobend wurde er nach dem Tollhause gebracht.
    Ehe ich, günstiger Leser! dir zu erzählen fortfahre, was sich weiter mit dem un-glücklichen Nathanael zugetragen, kann ich dir, solltest du einigen Anteil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten Spalanzani nehmen, versichern, daß er von seinen Wunden völlig geheilt wurde. Er mußte indes die Universität verlassen, weil Nathanaels Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein für gänzlich unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernünftigen Teezir-keln (Olimpia hatte sie mit Glück besucht) statt der lebendigen Person eine Holzpuppe einzuschwärzen. Juristen nannten es sogar einen feinen und um so härter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum gerichtet und so schlau angelegt worden, daß kein Mensch (ganz kluge Studenten ausgenom-men) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise tun und sich auf allerlei Tatsa-chen berufen wollten, die ihnen verdächtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich nichts Gescheutes zutage. Denn konnte z. B. wohl irgend jemanden verdächtig vorgekommen sein, daß nach der Aussage eines ele-ganten Teeisten Olimpia gegen alle Sitte öfter genieset, als gegähnt hatte? Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt usw.
    Der Professor der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu, räusperte sich und sprach feierlich: "Hochzuverehrende Herren und Damen!
    merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze ist eine Allego-rie - eine fortgeführte Metapher! - Sie verstehen mich! - Sapienti sat!"
    Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten sich nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele Wurzel gefaßt und es schlich sich in der Tat abscheuliches Mißtrauen gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz überzeugt zu werden, daß man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, daß die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Möpschen spiele usw. vor allen Dingen aber, daß sie nicht bloß höre, sondern auch manchmal in der Art spreche, daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das Liebesbündnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen gingen leise auseinander. "Man kann wahrhaftig nicht dafür stehen", sagte dieser und jener.
    In den Tees wurde unglaublich gegähnt und niemals genieset, um jedem Ver-dacht zu begegnen. - Spalanzani mußte, wie gesagt, fort, um der Kriminalunter-suchung wegen [des] der menschlichen Gesellschaft betrüglicherweise einge-schobenen Automats zu entgehen. Coppola war auch verschwunden.
    Nathanael erwachte wie aus schwerem, fürchterlichem Traum, er schlug die Augen auf und fühlte wie ein unbeschreibliches Wonnegefühl mit sanfter himmlischer Wärme ihn durchströmte. Er lag in seinem Zimmer in des Vaters Hause auf dem Bette, Clara hatte sich über ihn hingebeugt und unfern standen die Mutter und Lothar.
    "Endlich, endlich, o mein herzlieber Nathanael - nun bist du genesen von schwerer Krankheit - nun bist du wieder mein!" So sprach Clara recht aus tiefer Seele und faßte den Nathanael in ihre Arme.
    Aber dem quollen vor lauter Wehmut und Entzücken die hellen glühenden Trä-
    nen aus den Augen und er stöhnte tief auf. "Meine - meine Clara!"
    Siegmund, der getreulich ausgeharrt bei dem Freunde in großer Not, trat herein.
    Nathanael reichte ihm die Hand: "Du treuer Bruder hast mich doch nicht verlassen."
    Jede Spur des Wahnsinns war verschwunden, bald erkräftigte sich Nathanael in der sorglichen Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Glück war unterdessen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim, von dem niemand etwas gehofft, war gestorben und hatte der Mutter nebst einem nicht un-bedeutenden Vermögen ein Gütchen in einer angenehmen Gegend unfern der Stadt hinterlassen. Dort wollten sie hinziehen, die Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu heiraten gedachte, und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher geworden, als er je gewesen und erkannte nun erst recht Claras himmlisch reines, herrliches
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