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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren
Autoren: Gunnar Kunz
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Leben war. »Er müsste längst über die Ekstase hinaus sein«, dachte Didrik laut.
    »Hoffen wir es.«
    Sie fanden ihn auf dem Boden, inmitten einer Blutlache. Mit gezogenen Schwertern näherten sie sich ihm, doch die Vorsicht erwies sich als überflüssig. Ausgebrannt lag das Tier auf dem Rücken. Die Kampfekstase war vorüber und hatte einem totalen Erschöpfungszustand Platz gemacht. Die Berserkerwut hatte seine gesamte Lebensenergie verbraucht; im Augenblick war das Wesen kaum mehr als eine leere Hülle. Blicklos starrte der Mannwolf in den Himmel und rührte sich auch nicht, als Hillebrand ihn anstieß. Die beiden Krieger packten ihn an den Armen und hoben ihn auf. Didrik nahm einer der Leichen einen Umhang ab und wickelte den seelenlosen Körper, der alles teilnahmslos mit sich geschehen ließ, hinein. Dann schleiften sie ihn quer durch das Leichenfeld zu Attalas Burg.
2
    Ich.
    Wie eine flackernde Flamme erleuchtete das Wort die Dunkelheit, eine Flamme, die jeden Augenblick zu verlöschen drohte.
    Ich bin nicht allein. Ich habe einen Bruder.
    Der Kern eines Bewusstseins erwachte und tappte in der Finsternis umher. Bruder. Das Wort weckte etwas, einen Wirbel widerstreitender Gefühle: Ablehnung, Sehnsucht, Verlust.
    Ich habe einen Bruder, also habe ich eine Sippe.
    Müdigkeit lag wie Blei auf den Gedanken. Die Worte begannen wieder zu versickern.
    Widerstand regte sich, formte einen Willen. Sich erinnern. Erinnern   … Es gab etwas, das zu tun war. Etwas suchen, ja   … aber was? Eine Weile trieb das Bewusstsein umher, planlos, in kreisenden Bewegungen, gleichgültig gegen die Ufer, gegen die es stieß, gab sich auf und versank.
    Dann, ein plötzlicher, scharfer Gedanke: die Grenze. Das war es! Die Grenze! Ich muss die Grenze wiederfinden!
    Das Bewusstsein machte einen zögernden Schritt in die Nacht. Die Flamme blieb bei ihm, folgte ihm, wohin es auch ging. Megin   … sein megin , die Kraft seiner Seele. Das Bewusstsein begriff, dass es Energie daraus beziehen konnte, und stürzte sich in das Feuer. Hell loderte die Flamme auf. Gerüche. Geschmack von Blut und Kräutern. Todesschreie. Eine weibliche Stimme. Wo war die Grenze? Was war die Grenze?
    Ein neues Wort: Mannwolf. Die Gedanken glitten vorbei, hatten Mühe, sich zu konzentrieren. Ein Wille zwang die Aufmerksamkeit auf dieses Wort. Mannwolf. Mann-wolf. Die beiden waren nicht eins. Es gab eine Grenze zwischen ihnen. Zu welcher Seite gehörte er? Er? Ja, das fühlte sich richtig an. Er.
    Wie an einer Leine hangelte er sich an den Worten entlang, die er gefunden hatte. Ich. Bruder. Sippe. Grenze. megin . Mann-wolf. Er.
    Widerwillen vor dem Heil des Wolfes stieg auf. Der Wolf war nicht seine Natur. Er gehörte auf die Seite des Mannes. Der Menschen. Mensch sein   …
    Die Erinnerungen kamen jetzt stärker, wie ein Strom, der Zufluss von vielen Seitenarmen erhielt. Andvari. Grimhild. Gunter.
    Mann und Wolf trennten sich. Mit langsamem, aber sicherem Schritt fand er den Weg und überschritt die Grenze. Kehrte zurück.
    Er.
    Hagen.
     
    Wieder zu sich zu kommen, in die Welt der Menschen einzutreten, war alles andere als angenehm. Fesseln schnitten in seine Handgelenke, überflüssigerweise. Selbst, wenn er gewollt hätte, es fehlte ihm die Kraft, sich zu befreien. Er fror und fühlte sich körperlich und seelisch wie zerschlagen. Wunden überzogen seinen Leib, Blutverlust hatte ihn geschwächt, und eines seiner Beine gehörte praktisch nicht mehr zu ihm. Als Folge der Kampfekstase befand er sich in einem Zustand vollkommener Gleichgültigkeit. Nur undeutlich erinnerte er sich an die Schlacht, wie durch die Sinne eines Fremden. Er hatte Erinnerungslücken, was vermutlich ein Segen war.
    Mit einem tauben Gefühl beobachtete er die vier Menschen, die jetzt in die Große Halle traten. Unter den wenigen Überlebenden der Schlacht befand sich der schwer verletzte Attala. Vermutlich würde er den Rest seiner Tage einen lahmen Arm und eine Narbe über dem Gesicht haben, aber er lebte. Grimhild, Didrik und Hillebrand begleiteten ihn.
    Die Männer hatten sich vom Blut der Schlacht gereinigt   – obwohl sie das Gefühl hatten, dass es nach wie vor auf ihrer Haut klebte und den Rest ihres Lebens dort bleiben würde   – und viel zu kurze Zeit wie Tote geschlafen; jetzt waren sie bereit für den letzten Akt des Dramas. Grimhild konnte ihre Ungeduld kaum bezähmen. Endlich stand sie ihrem Erzfeind gegenüber! Die ganze Nacht hatte sie auf diesen Augenblick
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