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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren
Autoren: Gunnar Kunz
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Siedlungen und umschlichen die Wehrzäune in der Hoffnung, etwas Essbares zu erwischen. Aber Grimhild hatte sich noch nie von einer Gefahr oder einem Verbot zurückhalten lassen zu tun, was sie für richtig hielt.
    Sie warf einen letzten Blick umher und nickte befriedigt. Niemand würde sie suchen. Dass sie sich vom Webstuhl fortgestohlen hatte, war nichts Ungewöhnliches. Und wem sollte es auch auffallen? Ihr Vater weilte bei Didrik von Bern, um Beistand zu erbitten, falls der schwelende Grenzkonflikt mit Jarl Elsung zum Ausbruch kommen sollte. Ihre Mutter hatte alle Hände voll zu tun, die Herstellung neuer Holzfässer zu überwachen, nachdem sie heute früh entdecken mussten, dass einige der gelagerten Weinfässer leck waren, weil irgendjemand am Pech gespart hatte. Und ihre Brüder kümmerten sich nicht um sie. Vor dem Abendessen würde ihre Abwesenheit kaum bemerkt werden.
    Sollte allerdings doch jemand dahinter kommen, dass sie ohne Erlaubnis fortgeritten war   … aber selbst dann hatte sie nicht viel zu befürchten. Da ihr Vater nicht daheim war, würde Gunter versuchen, sie für ihren Ungehorsam zu bestrafen. Grimhild grinste. Als künftiger König glaubte er gelegentlich, ihr Befehle erteilen zu können. In der Regel beachtete sie ihn einfach nicht, was ihn maßlos ärgerte. Ob er mehr Durchsetzungskraft haben würde, wenn er erst König war? Aldrian besaß Autorität, seinen Befehlen gehorchte jeder widerspruchslos. Gunter   … nun, er war einfach zu still. Die Leute mochten ihn, und meist gehorchten sie ihm auch, doch mehr, weil sie ihn gern hatten, als aus Respekt. Grimhild rieb ihre kalten Hände aneinander. Sie mochte ihren ältesten Bruder, aber sie stand ihm nicht nahe. Sie fühlte sich mehr zu Männern der Tat hingezogen.
    Und das brachte sie wieder zu dem Grund ihres Ausrittes. Grimhild fluchte über ihre Trödelei und trieb das Pferd an. Sie durfte nicht zu lange verweilen, wenn sie vor Anbruch der Dunkelheit zurück sein wollte. Die Tage waren kurz, und sie hatte noch ein gutes Stück Weges vor sich. Sie würde sich nicht lange bei Thiota aufhalten können, aber für ihre Zwecke musste es genügen. Die Blätter der Schafgarbe, die sie jede Nacht auf ihre Augenlider legte, hatten ihr einen Traum beschert, den sie nicht zu deuten wusste. Die Seherin musste ihr helfen, Klarheit zu gewinnen. Sicher würde sie sich wieder zieren und sie ermahnen, sich vor Fragen zu hüten, deren Antwort sie gar nicht wissen wolle, und dass es Unglück bringe, die Zukunft zu kennen, und dergleichen mehr. Grimhild verzog das Gesicht. Alle glaubten ständig, ihr Ratschläge geben zu müssen und behandelten sie wie ein kleines Kind. Dabei war sie schon elf!
    Und ihr Traum war wichtig. Immerhin ging es darum, eine Vision von ihrem zukünftigen Mann zu erhalten! Doppelt wichtig sogar, wenn man bedachte, wie langweilig die meisten Männer in Tolbiacum waren. Na schön, da gab es Hagen, den Waffenmeister, der zu den Wenigen gehörte, die gegen den Zauber ihrer Augen immun zu sein schienen. Trotz seiner Hässlichkeit, trotz seiner Verschlossenheit   – oder gerade deswegen   – faszinierte er sie. Jedenfalls war er der einzig interessante Mann in der Niflungenburg, wenn man von Volker, dem Sänger absah, aber der umwarb jede Frau und war daher keine Herausforderung. Flüchtig dachte sie an ihren Vetter Irung, einen reizbaren, schnell beleidigten Krieger, der sich neuerdings darum bemühte, ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Wenn er nur nicht ständig versuchen würde, sein struppiges Haar mit Butter zu glätten! Grimhild mochte ihn mit zerzausten Haaren lieber, er sah dann immer richtig verwegen aus. Aber er schien zu glauben, dass er den Frauen imponieren könne, wenn er mit ranzigem Fett eingeschmiert herumlief. Männer!
    Fála scheute plötzlich und schnaubte. Hatte die Stute etwas gewittert? Grimhild tätschelte ihr beruhigend den Hals und sah sich aufmerksam um. Nicht weit voraus entdeckte sie die Spuren zweier Pferde. Sie schienen aus verschiedenen Richtungen gekommen und an dieser Stelle zusammengetroffen zu sein. Eine kurze Strecke liefen sie friedlich nebeneinander her, aber zwei Steinwürfe entfernt war der Schnee wie von einem Kampf zerwühlt. Eine Blutspur führte in ein nahe gelegenes Gehölz.
    Grimhild biss sich auf die Lippen. Sie wusste, sie sollte nicht hier sein. Unschlüssig drehte sie sich hin und her. Sollte sie weiterreiten, als ob nichts geschehen wäre? Undenkbar! Also blieben ihr nur zwei
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