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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren
Autoren: Gunnar Kunz
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Eine ganze Welt lag in diesem Lächeln. Er hatte Grimhild von Anfang an richtig eingeschätzt. Unversöhnlich bis zum Schluss. Sie war kein schwaches Weib. Sie war eine würdige Feindin. Nicht einmal Sigfrid hatte zu schätzen gewusst, welch ungewöhnliche Frau sie war. Endlich musste Hagen die Liebe, die er für sie empfand, nicht länger verstecken. Im Augenblick seines Todes fühlte er nichts als Glück. Und, ja, auch ein leises Bedauern, die Welt verlassen zu müssen, die er gerade erst lieben gelernt hatte.
    Grimhild trat so dicht an ihn heran, dass er ihren Geruch nach Rosenöl einatmen konnte. Hass überschwemmte sie wie die Wogen eines aufgewühlten Meeres und spülte alles andere hinweg. »Dann stirb, Albe!«, schleuderte sie ihm entgegen und stieß ihm das Schwert mit der Wucht ihrer Leidenschaft in den Leib.
    Hagen empfing die Klinge wie ein Geschenk. Er drängte sich Grimhild entgegen und barg sein Gesicht an ihrem Hals. Ihr Haar hüllte ihn ein, während ein Blutrinnsal aus seinen Mundwinkeln lief. Sie war so warm, so voller Leben! Hagen schloss die Lider und spürte ihre Haut. Dies war seine Brautnacht. Jetzt und für immer waren sie durch das Blut vereint. Das Pulsieren in seinen Handflächen ebbte ab, die Schicksalsrunen erloschen. Mit der Wange strich Hagen ihren Nacken entlang, während sie die Klinge in seinem Körper drehte. Endlich, endlich durfte er den allzu lange zurückgehaltenen Satz vollenden, den er bei jenem Mittsommerfest in sich erstickt hatte. »…   dass ich dich liebe«, sagte er, und es war ein guter Abschluss, auch wenn sie es nicht hören konnte, weil die Worte auf seinen Lippen liegenblieben.
    Grimhild tobte und schrie und konnte sich an ihrer Rache nicht sättigen. Obwohl sie ihren Schwur erfüllt hatte, obwohl sie bekommen hatte, was sie wollte, hatte sie das Gefühl, am Ende betrogen worden zu sein. Warum empfand sie keine Befriedigung? Wie schaffte es der Halbalbe, ihr selbst jetzt noch den Triumph vorzuenthalten? Wo war die Ekstase der Rache? Wieder und wieder und wieder stieß sie das Schwert in den Leib ihres Feindes. Bis sie feststellte, dass sie einen Toten im Arm hielt.
    Mit einem Aufschrei stolperte sie zurück und biss sich in die Faust. Eine Blutlache bildete sich unter der Leiche und wurde rasch größer. Hilfe suchend blickte sie sich um, doch Sigfrid ging davon, ohne sie noch einmal anzusehen, wurde durchscheinend und ließ sie leer und einsam zurück.
    Ungläubig hatten die drei Männer ihre Raserei verfolgt. Der Anblick ihrer blutverschmierten Haare und der vor Wildheit verzerrten Züge ihres einstmals schönen Antlitzes erfüllte sie mit Grauen. Selbst Attala, der Hagen hasste, wandte sich angewidert von ihren blutigen Exzessen ab. Didrik hob das Schwert auf, das ihrer Hand entfallen war. »Dein Starrsinn hat zahllosen Kriegern den Tod gebracht. Viele gute Männer mussten um deinetwillen ihr Leben lassen, doch du gibst keine Ruhe, bis die Erde von Menschen getilgt ist.«
    Grimhild atmete schwer. Ihr Schwur war erfüllt, die Kraft, die sie all die Jahre am Leben erhalten hatte, erloschen. Sie hatte ihre Sippe dem Gebot der Rache geopfert. Nun war es an ihr, ihre Sippe zu rächen. Mit flackernden Augen wandte sie sich Didrik zu. Ihn hatte sie auserkoren, das Schwert zu führen. »Was verstehst du schon von Rache?«, rief sie aus. »Hast du nicht zugelassen, dass dein Onkel dir dein Reich stahl, ohne auch nur die Hand zu heben? Hast du nicht zugelassen, dass Attalas Söhne unter deinen Augen erschlagen wurden, während du selbst narbenlos bliebst?« Sie spie vor ihm aus. »Was will ein ehrloser Neiding wie du mir von Rache sagen?«
    Weißglut loderte in Didrik auf. Sein Körper handelte, ohne dass er ihm einen Befehl gegeben hätte. Seine Füße trugen ihn zwei Schritte nach vorn, seinen Schwertarm riss es wie von selbst nach oben. Mimung jubelte ekstatisch.
    Hoch erhobenen Hauptes erwartete Grimhild den Schlag. Sie machte keinen Versuch, ihm auszuweichen. Ihre berechnenden Worte waren ihre letzte Täuschung, die Krönung ihrer Kunst, jemandem ihren Willen aufzuzwingen. Hagen hätte es verstanden , dachte sie plötzlich, und ein Ausdruck der Überraschung trat auf ihr Gesicht.
    Der Gedanke wurde ihr mitsamt dem Haupt abgetrennt.

Epilog
Winter 498 / 499
    Dólgthrasir stand am Rande des Höhlenpfades und blickte in das unterirdisch dahinströmende Wasser. Seine lichtempfindlichen Augen sahen beinahe bis auf den Grund des schlammigen Flusses. Eisschollen trieben
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