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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren
Autoren: Gunnar Kunz
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Besucherin. »Bedenke deinen Wunsch! Es liegt kein Heil darin, die Zukunft beherrschen zu wollen.«
    Gereizt zog Grimhild die Nase kraus. Dies waren die üblichen Ermahnungen, die jeder meinte, ihr gegenüber vorbringen zu müssen. Wann begriffen die Menschen endlich, dass sie erwachsen war und für sich selbst entscheiden konnte?
    Thiota beugte sich vor und zwang sie, ihrem Blick standzuhalten. »Gebrochene Versprechen«, sagte sie und bohrte ihren Zeigefinger unterhalb des Schlüsselbeins in die Haut der jungen Frau. »Gebrochene Versprechen leugnen, was war, leugnen, was sein wird. Gebrochene Versprechen besitzen einen starken Zauber. Gebrochene Versprechen sind voller Leid.«
    »Es ist mir egal, was war!«, stieß Grimhild trotzig hervor. »Ich will ihn! Ich will, dass er mich liebt!«
    Die Seherin beugte sich der Macht ihrer Leidenschaft. »Du hast entschieden«, sagte sie.
    Verspätet begriff Grimhild, dass die Abmachung zwischen ihnen damit besiegelt war. Aufgeregt öffnete sie den Lederbeutel, den sie bei sich trug, und entnahm ihm etwas Bruchsilber. Sie wusste, dass Thiota diese Art der Bezahlung römischen Münzen vorzog. Alles, was von den Römern kam, hielt sie für eine gefährliche Abkehr von den alten Pfaden.
    Die Alte strich den Lohn ein und machte sich an die Arbeit. »Amnesia«, murmelte sie geistesabwesend, öffnete Tongefäße und schnupperte an Kräutern. Gemeinsam mit Wurzeln, Samen und Pflanzenfasern wanderten diese in eine Tonschale. Nachdem die Seherin die Zutaten zerstoßen hatte, rührte sie das entstandene Pulver in einen Kessel mit Wasser ein und hängte ihn über das Feuer. Anschließend verschwand sie nach draußen. Als sie zurückkehrte, hielt sie einen blühenden Buchenzweig in der Hand. Geschickt entfernte sie die Blüten und schnitt den Ast in gleich lange Holzstäbchen, die sie in den Himmel hielt, um Wodan, den Herrn der Runen, um Beistand anzurufen.
     
»Neun Nächte hingst du,
o Runenmeister,
am windigen Baume
in Yggdrasils Ästen,
dir selbst geweiht,
geritzt mit dem Speer,
blutend, wartend.
Groß war dein Opfer.
     
Du neigtest dich nieder
und hobst unter Qualen
die heilhaften Stäbe,
die mächtigen Runen.
Sie raunten dir zu
verborg’nes Geheimnis.
Raune mit mir,
o Raterfürst!«
     
    Thiota nahm das Messer, mit dem sie den Zweig unterteilt hatte, und ritzte fehu , die Rune für Reichtum und Glück, in das weiche Holz, gebō , die Rune für Freundschaft und Gunst, und jēra , die Rune der guten Ernte. Nach kurzer Überlegung fügte sie noch berkō , die Fruchtbarkeit verheißende Birkenrune hinzu.
     
»Runen sind magisch,
Runen sind Macht.
Heilhafte Hölzer,
zeitlos geritzt
auf die Pfote des Wolfs,
auf die Schwinge des Raben,
auf die Zunge der Schlange,
auf die Spitze des Speeres,
in die Schwelle des Hauses,
in Feuer und Fels, in Wasser und Wind«,
     
    murmelte sie halblaut dabei. Das Wort laukaR würde ihr Werk gedeihen lassen, das Wort alu ihm Schutz verleihen. Aber wie leicht konnte jemand, der etwas von Runenmagie verstand, den Zauber erkennen und verändern! Deshalb war es unumgänglich, die Worte zu verrätseln. Thiota verkürzte laukaR zu einem l und verdrehte alu zu lua . Die Runen hatte sie bereits als Binderunen verschlüsselt, indem sie gebō und jēra übereinander ritzte und fehu und berkō einen gemeinsamen Stab gab.
    So plötzlich, dass Grimhild zusammenzuckte, waren die Augen der Seherin auf sie gerichtet. »Hast du, was für einen Liebeszauber nötig ist?«
    Die Niflunge wurde rot und nickte. Soviel wusste jeder von Liebestränken, dass es gewisse Zutaten gab, die unentbehrlich waren. Sie öffnete ihren Lederbeutel und entnahm ihm ein Tuch mit getrocknetem Monatsblut.
    Thiota löste die Substanz mit warmem Wasser an. »Wenn dein Blut mit seinem gemischt ist, seid ihr für immer aneinander gebunden.« Ein paar Tropfen der roten Flüssigkeit ließ sie in den Sud fallen, mit dem Rest tränkte sie die Runen, Frija um Beistand anrufend. Während das Blut trocknete, wandte sie sich wieder dem Kessel zu. Der Sud war kurz vor dem Sieden. Auf dem Hochstuhl lag ein Eibenstab, den die Seherin nun holte, um damit den Kessel zu berühren, gleichzeitig stimmte sie einen leisen Gesang an. Gesang verstärkte die Zauberkraft des Wortes, das wusste jeder. Bestimmte Regeln waren dabei einzuhalten, damit die Worte ein Muster ergaben und sich nicht gegenseitig aufhoben. In Trance nahm die alte Frau eine Handvoll geweihter Erde, die sie von draußen mitgebracht hatte.
    Eine
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