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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch
Autoren: Philip Pullman
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Hahn; würde die Wärme ihrer Hand das Pulver
trocknen? Und selbst wenn die Pistole losginge, würde auch der Lauf
halten?
„Das beste Opium", fuhr van Eeden fort, „kommt aus Indien und
wird unter britischer Regierungshoheit angebaut, und es gibt einen
Dienststempel, so eine Art Preßform, da wird das Zeug in so kleine,
offizielle Kuchen gepreßt mit dem Segen und der Zustimmung Ihrer
Majestät. Ganz zivilisiert. Es verlangt einen schnellen Absatz, und der
Preis ist hoch. Leider wollte Ihr Vater damit nichts zu tun haben, so
war Lockhart und Selby nicht in der Lage, davon zu profitieren.
In meiner Eigenschaft als Ah Ling machte ich es mir deshalb zur
Gewohnheit, Schiffe abzufangen, die mit Opium aus Indien kamen. Es
brauchte nur einen Vormittag, die Mannschaft zur Zusammenarbeit zu
überreden, einen Nachmittag, die Fracht zu meiner Dschunke zu
transportieren und einen angenehmen Abend, ihr Schiff zu versenken
und weiterzusegeln."
„Und dann übernehmen Lockhart und Selby das gestohlene Opium
und verkaufen es, oder?" fragte Sally. „Sehr schlau. Meine
Anerkennung."
„Das wäre viel zu auffällig. Man würde es sofort entdecken. Nein,
hier bekommt die Methode Stil. Durch eine glückliche Fügung kommt
meine Gesellschaft in den Besitz einer dieser äußerst wertvollen
Dienststempel der Britischen Regierung. Mit Hilfe des Stempels und
einer Fabrik in Penang, zusammen mit etwas minderwertigem Opium
von den Hügeln wurden aus einer Schiffsladung drei oder vier, alle
gestempelt und amtlich beglaubigt und verschifft von dieser höchst
ehrenwerten Firma Lockhart und Selby."
„Sie fälschen es... Und was geschieht mit denen, die das Opium
rauchen?"
„Sie sterben. Diejenigen, die unser verändertes Opium rauchen,
sterben schneller, was ein Segen für sie ist. Es war höchst unklug von
Ihrem Vater, sich da einzumischen; es hat mir eine Menge Verdruß
bereitet. In Penang war ich unter dem Namen Hendrik van Eeden; ich
mußte mich in Ah Ling verwandeln und in Singapur ankommen, ehe
Ihr Vater abfuhr... Teuflisch schwierig. Aber die Götter hatten ein
Einsehen. Es ist fast vorbei."
Er nahm eine Uhr aus seiner Westentasche.
„Treffliche Zeit", sagte er. „Nun, Miss Lockhart, haben Sie sich
entschieden? Kommen Sie mit oder bleiben Sie?"
Sie senkte den Blick und sah mit Schrecken die offene Schneide
eines Messers auf seinem Schoß. Es schimmerte in dem schwachen
Licht der Schiffswerft jenseits der Mauer. Seine Stimme klang weich
und gedämpft, als spräche er durch Filz, und sie fing an zu zittern.
Nein, nein, ruhig Blut, sagte sie zu sich. Aber dies war keine an die
Wand geheftete Zielscheibe -- dies war ein lebendiger Mensch, und es
würde ihn töten... Sie drückte den Hahn mit ihrem Daumen zurück.
Ein schwaches Klicken ertönte.
Van Eeden beugte sich vor und streichelte kurz ihre Hand. Sie
entzog sie ihm, doch er war schneller: eine Hand legte er blitzschnell
auf ihren Mund, die andere hielt das Messer an ihre Brust. Die Hand
über ihrem Mund duftete süßlich; ihr wurde übel, und sie drückte die
Tasche zwischen sie, etwa drei Zentimeter von seiner Brust entfernt.
Sie hörte ihn atmen. Sie war wie betäubt vor Angst.
„Nun?" sagte er sanft.
Und dann drückte sie auf den Abzug.
Die Explosion erschütterte die Droschke. Der Druck schleuderte
van Eeden von ihr weg und drückte ihn auf den Sitz; das Messer fiel
ihm aus der Hand, und er preßte die Hand auf die Brust und öffnete
den Mund und versuchte, etwas zu sagen -- und dann glitt er auf den
Boden und lag reglos da. Sie öffnete die Tür und flüchtete. Sie hetzte
vorwärts, so schnell wie möglich vom Ort ihrer Tat weg; sie weinte,
sie zitterte und war von einer panischen Angst besessen... Sie konnte
nicht sehen, wohin sie rannte. Hinter sich hörte sie schnelle Schritte,
die die Verfolgung aufnahmen. Jemand rief ihren Namen.
Sie schrie: „Nein! Nein!" und rannte weiter.
Sie merkte, daß sie die Pistole an sich gepreßt hielt und schleuderte
sie mit Abscheu von sich; sie schlitterte über die nassen Pflastersteine
und verschwand dann im Rinnstein. Eine Hand packte sie am Arm.
„Sally! Bleib stehen! Sally, hör doch! Ich bin's - "
Sie stürzte völlig erschöpft zu Boden. Sie drehte sich herum und
blickte auf und sah Rosa.
„Rosa -- oh, Rosa, was hab ich gemacht - "
Sie klammerte sich an sie und schluchzte, und Rosa hielt sie fest an
sich gepreßt, wiegte sie wie ein Kind und merkte gar nicht, daß sie im
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