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Der Rosenmord

Der Rosenmord

Titel: Der Rosenmord
Autoren: Ellis Peters
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und die Brüder suchten bereits ihre Zellen im Dormitorium auf, als Edwy Bellecote endlich voller Eile und Entschuldigungen kam.
    »Mein Vater schickte mich auf einen Botengang nach Frankwell, und ich durfte ihm ja nicht sagen, was ich für Euch tun sollte, Bruder Cadfael. Ich habe deshalb den Mund gehalten und bin gegangen. Ich brauchte länger, als ich gedacht hatte, und dann mußte ich noch vorgeben, ich hätte meine Werkzeuge vergessen, um so spät noch einmal zum Haus zurückkehren zu können. Die Schwester wartete schon auf mich. Sie ist klug, diese Schwester! Und sie hatte, was Ihr braucht.« Unter dem Mantel zog er ein in Sackleinen gehülltes Bündel hervor und setzte sich unaufgefordert, aber in der Gewißheit, willkommen zu sein, gemütlich auf die Bank an der Wand. »Wozu braucht Ihr zwei linke Schuhe?«
    Cadfael kannte den Jungen, der inzwischen achtzehn war, seit vier Jahren. Damals, mit vierzehn, war er groß für seine Jahre, schlank und unternehmungslustig gewesen, hatte ein Gestrüpp blonder Haare auf dem Kopf gehabt, mit hellbraunen Augen alles beobachtet und kaum etwas verpaßt. Auch jetzt sahen diese Augen neugierig zu, während Cadfael das Leinen entrollte und die Schuhe auf den Boden setzte.
    »Um zwei linke Füße zu studieren«, sagte er und betrachtete sie einen Augenblick, ohne sie zu berühren. »Welcher der beiden gehört Bertred?«
    »Der hier. Den habe ich für sie aus Bertreds Sachen genommen, aber sie mußte eine Gelegenheit abpassen, um auch den anderen zu bekommen. Sonst wäre ich schon vor meinem Botengang nach Frankwell zu Euch gekommen.«
    »Schon gut«, erwiderte Cadfael abwesend und drehte die Schuhsohle nach oben. Der Schuh war oft getragen worden.
    Das aus einem Stück geschnittene Oberteil war vorn abgewetzt und geflickt, die einfache Sohle an der Hacke mit einer dreifachen Schicht aus Leder verstärkt. Es war ein gewöhnlicher Stiefel ohne Verschlüsse, der einfach über den Fuß gestreift werden konnte. Der Lederstreifen, der den Spann säumte, war fast durchgescheuert. Obwohl schon viele Jahre in Gebrauch, war die Sohle von der Hacke bis zur Spitze gleichmäßig abgelaufen. Weder an der Hacke noch am großen Zeh war sie stärker abgenutzt.
    »Ich hätte es wissen müssen«, sagte Cadfael. »Ich habe den Mann kaum mehr als ein halbes dutzendmal laufen gesehen, aber ich hätte es wissen müssen. Aufrecht wie eine Lanze!
    Wahrscheinlich hatte er noch nie im Leben eine Sohle schief abgetreten oder den Fuß schräg aufgesetzt.«
    Der zweite Schuh war ein Halbstiefel, dessen Oberteil ebenfalls aus einem Stück geschnitten war. Auch er war am Spann gesäumt, an den Zehen etwas zugespitzt und mit einem Lederabsatz versehen. Ein zweiter Streifen, der sich um die Fessel zog, war mit einer Bronzeschnalle befestigt. Die Außenkante des Absatzes war an der Seite stark abgenutzt, und die gleiche Abnutzung zeigte sich innen am großen Zeh. Im Licht von Cadfaels kleiner Lampe, das schräg über die Sohle fiel, waren die Konturen gut zu erkennen. Auch hier hatte sich unter dem großen Zeh ein kleiner Riß gebildet, nicht sehr groß, doch an der gleichen Stelle wie an dem Stiefel, den man dem toten Bertred von den Füßen gezogen hatte. Das war der Beweis.
    »Und was soll das jetzt beweisen?« fragte Edwy, der seinen hellen Wuschelkopf neugierig über den Schuh beugte.
    »Es beweist, daß ich ein Dummkopf bin«, gab Cadfael zu.
    »Vermutet habe ich das ja schon öfter. Es beweist, daß der Mann, der heute einen bestimmten Schuh trägt, ihn nicht unbedingt auch gestern getragen haben muß. Still jetzt, laß mich nachdenken!« Er war unschlüssig, ob er sofort etwas unternehmen sollte, doch nachdem er alles bedacht hatte, was am Nachmittag gesagt worden war, glaubte er, bis zum nächsten Morgen warten zu können. Was hätte beruhigender sein können als Judiths schlichte Vermutung, der Angriff auf sie sei nichts weiter gewesen als eine jener Gefahren, mit denen man bei Reisen im Wald eben rechnen mußte? Nichts als ein Überfall auf eine Frau, die nachts allein unterwegs war, wegen der Kleider, die sie am Leib trug, wenn sie sonst nichts Wertvolles bei sich hatte. Nein, es war nicht nötig, alles aufzuscheuchen und Hugh vor dem Morgen noch einmal zu wecken. Der Mörder sollte sich in Sicherheit wiegen.
    »Mein Sohn«, sagte Cadfael seufzend, »ich werde alt. Ich muß ins Bett. Und du, mach daß du heimkommst, denn sonst wird deine Mutter mir vorwerfen, ich hätte einen schlechten Einfluß
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