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Der Rosenmord

Der Rosenmord

Titel: Der Rosenmord
Autoren: Ellis Peters
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verdankte sie mehr als nur ihr Leben. Er hatte eine Rose mitgebracht, die allerletzte des Strauches, ein kleines Wunder.
    »Niall …«, begann sie zögernd. Es war das erste Mal, daß sie ihn beim Vornamen nannte.
    »Ich bringe Euch die Pacht«, sagte er einfach, machte die paar Schritte und hielt ihr die halbgeöffnete, makellos weiße und frische Rose hin.
    »Ich habe gehört«, erklärte sie verwundert, »daß nichts übrig sei, daß alles verbrannt sei. Wie ist das möglich?« Auch sie ging ihm ein Stück entgegen, sehr vorsichtig, als könnte die Rose zu Asche zerfallen, wenn sie sie berührte.
    Niall löste seine Hand sachte aus der kleinen Hand des Mädchens, das sich schüchtern halb hinter ihm hielt. »Ich habe sie gestern für mich selbst gepflückt, als wir nach Hause kamen.«
    Zwei ausgestreckte Hände schimmerten wie Perlmutt. Ihre Finger berührten sich am Stiel, der glatt und von Dornen befreit war.
    »Was macht Eure Wunde?« fragte sie. »Wird sie gut verheilen?«
    »Es ist nur ein Kratzer. Ich fürchte aber«, gab Niall zurück, »daß Euer Kummer weitaus größer ist.«
    »Das ist vorbei. Es wird schon gehen.« Doch sie merkte, daß sie ihm über die Maßen einsam und verletzt vorkam. Sie blickten sich unentwegt in die Augen, mit einer Spannung, die schwer zu halten und noch schwerer zu brechen war. Das kleine Mädchen machte ein oder zwei Schritte, blieb schüchtern stehen.
    »Eure Tochter?« fragte Judith.
    »Ja.« Er streckte die Hand nach dem Kind aus. »Ich wußte nicht, wo ich sie lassen sollte.«
    »Das freut mich. Und warum solltet Ihr sie auch zurücklassen, wenn Ihr mich besucht? Niemand könnte mir willkommener sein.«
    Plötzlich zutraulich, rannte das Kind zu seinem Vater, da es die fremde Frau lächeln sah und mit Warmer Stimme sprechen hörte. Fünf Jahre alt und groß für ihr Alter war das Mädchen, mit ernstem, länglichem und hellem Gesicht, auf dem die Sonne glänzte, als sie in das Licht trat. Wie eine Kerze schien sie aufzuflammen, denn die Locken auf ihren Schläfen und das Haar, das auf ihre Schultern fiel, war dunkelgolden, und lange goldene Wimpern umrahmten ihre dunkelblauen Augen. Zur Begrüßung machte sie einen kurzen Knicks, ohne die Augen mit dem klaren, neugierigen Ausdruck von Judiths Gesicht zu wenden. Und nach einem Moment hatte sie sich entschieden, lächelte und hob unverkennbar ihr Gesicht, um sich von der freundlichen Frau küssen zu lassen.
    Es war, als hätte das Mädchen ihre kleine Hand in Judiths Brust geschoben und das Herz berührt, das sich so viele Jahre nach einem solchen Kind gesehnt hatte. Weich und kühl und süß war ihr Mund. Auf dem Weg zur Stadt hatte sie die Rose getragen, und der Duft hing noch an ihr. Sie hatte nichts zu sagen, noch nicht, denn sie war vollauf damit beschäftigt, den Raum und die Frau einzuschätzen. Später, wenn sie einander bekannt waren, würde sie gesprächiger werden.
    »Vater Adam gab ihr den Namen«, erklärte Niall, während er mit ernstem Lächeln seine Tochter betrachtete. »Sie trägt einen ungewöhnlichen Namen – sie heißt Rosalba.«
    »Ich beneide Euch!« sagte Judith noch einmal.
    Eine leichte Befangenheit machte sich zwischen ihnen breit.
    Es war schwer, die richtigen Worte zu finden. Wenige, knappe Worte waren bisher gesagt worden. Er nahm wieder die Hand seiner Tochter, zog sich aus dem Licht zur Tür zurück und ließ Judith, die weiße Rose im Sonnenlicht vor ihre Brust haltend, im Glanz stehen. Die zweite weiße Rose hüpfte einen Schritt und schien zum Gehen bereit. Rosalba lächelte zum Abschied noch einmal über die Schulter.
    »So, Kleines, wir müssen heim. Wir haben unseren Auftrag erledigt.«
    Sie würden gehen, alle beide, keine Rosen würden mehr gebracht werden, niemals wieder würde am Tag von St.
    Winifreds Grablegung die Pacht bezahlt werden. Und wenn sie jetzt gingen, dann wäre dieser Augenblick unwiderruflich verloren, niemals wieder würden sich diese drei Menschen in dieser Kammer treffen.
    Er war schon an der Tür, als sie plötzlich sagte: »Niall …«
    Errötend drehte er sich um und sah sie, das Gesicht weiß und offen wie eine Rose, im vollen Sonnenlicht stehen.
    »Niall, geht nicht!« Endlich hatte sie die Worte gefunden, die rechten Worte zur rechten Zeit. Sie sagte zu ihm, was Sie mitten in der Nacht am Tor von Godric’s Ford schon einmal zu ihm gesagt hatte:
    »Verlaßt mich jetzt nicht!«
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