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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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darauf erwidern sollte, und erklärte endlich: »An den Tagen, 24
    die mit G bezeichnet sind, hat Schmied jedesmal den Frack angezogen und ist mit seinem Mercedes davongefahren.«
    »Woher wissen Sie das wieder?«
    »Von Frau Schönler.«
    »So, so«, antwortete Bärlach und schwieg. Aber dann meinte er: »Ja, das sind Tatsachen.«
    Tschanz schaute dem Kommissär aufmerksam
    ins Gesicht, zündete sich eine Zigarette an und sagte zögernd: »Herr Doktor Lutz sagte mir, Sie hätten einen bestimmten Verdacht.«
    »Ja, den habe ich, Tschanz.«
    »Da ich nun Ihr Stellvertreter in der Mordsache Schmied geworden bin, wäre es nicht vielleicht besser, wenn Sie mir sagen würden, gegen wen sich Ihr Verdacht richtet, Kommissär Bärlach?«
    »Sehen Sie«, antwortete Bärlach langsam, ebenso sorgfältig jedes Wort überlegend wie Tschanz,
    »mein Verdacht ist nicht ein kriminalistisch wissenschaftlicher Verdacht. Ich habe keine Gründe, die ihn rechtfertigen. Sie haben gesehen, wie wenig ich weiß. Ich habe eigentlich nur eine Idee, wer als Mörder in Betracht kommen konnte; aber der, den es angeht, muß die Beweise, daß er es gewesen ist, noch liefern.«
    »Wie meinen Sie das, Kommissär?«
    Bärlach lächelte: »Nun, ich muß warten, bis die Indizien zum Vorschein gekommen sind, die seine Verhaftung rechtfertigen.«

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    »Wenn ich mit Ihnen zusammenarbeiten soll, muß ich wissen, gegen wen sich meine Untersuchung richten muß«, erklärte Tschanz höflich.
    »Vor allem müssen wir objektiv bleiben. Das gilt für mich, der ich einen Verdacht habe, und für Sie, der den Fall zur Hauptsache untersuchen wird.
    Ob sich mein Verdacht bestätigt, weiß ich nicht.
    Ich warte Ihre Untersuchung ab. Sie haben Schmieds Mörder festzustellen, ohne Rücksicht darauf, daß ich einen bestimmten Verdacht habe.
    Wenn der, den ich verdächtige, der Mörder ist, werden Sie selbst auf ihn stoßen, freilich im Ge -
    gensatz zu mir auf eine einwandfreie, wissenschaftliche Weise; wenn er es nicht ist, werden Sie den Richtigen gefunden haben, und es wird nicht nötig gewesen sein, den Namen des Menschen zu wissen, den ich falsch verdächtigt habe.«
    Sie schwiegen eine Weile, dann fragte der Alte:
    »Sind Sie mit unserer Arbeitsweise einverstanden?«
    Tschanz zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete: »Gut, ich bin einverstanden.«
    »Was wollen Sie nun tun, Tschanz?«
    Der Gefragte trat zum Fenster: »Für heute hat sich Schmied ein G angezeichnet. Ich will nach Lamboing fahren und sehen, was ich herausfinde.
    Ich fahre um sieben, zur selben Zeit wie das Schmied auch immer getan hat, wenn er nach dem Tessenberg gefahren ist.«

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    Er kehrte sich wieder um und fragte höflich, aber wie zum Scherz: »Fahren Sie mit, Kommis -
    sär?«
    »Ja, Tschanz, ich fahre mit«, antwortete der un-erwartet.
    »Gut«, sagte Tschanz etwas verwirrt, denn er hatte nicht damit gerechnet, »um sieben.«
    In der Türe kehrte er sich noch einmal um: »Sie waren doch auch bei Frau Schönler, Kommissär Bärlach. Haben Sie denn dort nichts gefunden?«
    Der Alte antwortete nicht sogleich, sondern verschloß erst die Mappe im Schreibtisch und nahm dann den Schlüssel zu sich.
    »Nein, Tschanz«, sagte er endlich, »ich habe nichts gefunden. Sie können n un gehen.«

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    4

    Um sieben Uhr fuhr Tschanz zu Bärlach in den Altenberg, wo der Kommissär seit dreiunddreißig in einem Hause an der Aare wohnte. Es regnete, und der schnelle Polizeiwagen kam in der Kurve bei der Nydeckbrücke ins Gleiten. Tschanz fing ihn jedoch gleich wieder auf. In der Altenbergstraße fuhr er langsam, denn er war noch nie bei Bärlach gewesen, und spähte durch die nassen Scheiben nach dessen Hausnummer, die er mühsam erriet.
    Doch regte sich auf sein wiederholtes Hupen niemand im Haus. Tschanz verließ den Wagen und eilte durch den Regen zur Haustüre. Er drückte nach kurzem Zögern die Falle nieder, da er in der Dunkelheit keine Klingel finden konnte. Die Tür war unverschlossen, und Tschanz trat in einen Vorraum. Er sah sich einer halboffenen Türe gegenüber, durch die ein Lichtstrahl fiel. Er schritt auf die Türe zu und klopfte, erhielt jedoch keine Antwort, worauf er sie ganz öffnete. Er blickte in eine Halle. An den Wänden standen Bücher, und auf dem Diwan lag Bärlach.
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    Der Kommissär schlief, doch schien er schon zur Fahrt an den Bielersee bereit zu sein, denn er war im Wintermantel. In der Hand hielt er ein Buch.
    Tschanz hörte seine ruhigen Atemzüge und war
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