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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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bin mit ihm einverstanden. Tschanz ist ein Mann, der immer bemüht ist, kriminalistisch auf der Höhe zu bleiben.«
    Dann wandte er Bärlach den Rücken zu und
    schaute zum Fenster auf den Waisenhausplatz hin -
    aus, der voller Kinder war.
    Plötzlich überkam ihn eine unbändige Lust, mit Bärlach über den Wert der modernen wissenschaftlichen Kriminalistik zu disputieren. Er wandte sich um, aber Bärlach war schon gegangen.
    Wenn es auch schon gegen fünf ging, beschloß Bärlach doch noch, an diesem Nachmittag nach Twann zum Tatort zu fahren. Er nahm Blatter 17

    mit, einen großen, aufgeschwemmten Polizisten, der nie ein Wort sprach, den Bärlach deshalb liebte, und der auch den Wagen führte. In Twann wurden sie von Clenin empfangen, der ein
    trotziges Gesicht machte, da er einen Tadel erwartete. Der Kommissär war jedoch freundlich, schüttelte Clenin die Hand und sagte, daß es ihn freue, einen Mann kennenzulernen, der selber denken könne. Clenin war über dieses Wort stolz, obgleich er nicht recht wußte, wie es vom Alten gemeint war. Er führte Bärlach die Straße gegen den Tessenberg hinauf zum Tatort. Blatter trottete nach und war mürrisch, weil man zu Fuß ging.
    Bärlach verwunderte sich über den Namen Lamboing. »Lamlingen heißt das auf deutsch«, klärte ihn Clenin auf.
    »So, so«, meinte Bärlach, »das ist schöner.«
    Sie kamen zum Tatort. Die Straßenseite zu ihrer Rechten lag gegen Twann und war mit einer Mauer eingefaßt.
    »Wo war der Wagen,Clenin?«
    »Hier«, antwortete der Polizist und zeigte auf die Straße, »fast in der Straßenmitte«, und, da Bärlach kaum hinschaute: »Vielleicht wäre es bes -
    ser gewesen, ich hätte den Wagen mit dem Toten noch hier stehenlassen.«
    »Wieso?« sagte Bärlach und schaute die Jura -
    felsen empor. »Tote schafft man so schnell als möglich fort, die haben nichts mehr unter uns zu 18
    suchen. Sie haben schon recht getan, den Schmied nach Biel zu führen.«
    Bärlach trat an den Straßenrand und sah nach Twann hinunter. Nur Weinberge lagen zwischen ihm und der alten Ansiedlung. Die Sonne war schon untergegangen. Die Straße krümmte sich wie eine Schlange zwischen den Häusern, und am Bahnhof stand ein langer Güterzug.
    »Hat man denn nichts gehört da unten, Clenin?«
    fragte er. »Das Städtchen ist doch ganz nah, da müßte man jeden Schuß hören.«
    »Man hat nichts gehört als den Motor die Nacht durchlaufen, aber man hat nichts dabei gedacht.«
    »Natürlich, wie sollte man auch.«
    Er sah wieder auf die Rebberge. »Wie ist der Wein dieses Jahr, Clenin?«
    »Gut. Wir können ihn ja dann versuchen.«
    »Das ist wahr, ein Glas Neuen möchte ich jetzt gerne trinken.«
    Und er stieß mit seinem rechten Fuß auf etwas Hartes. Er bückte sich und hielt ein vorne breit-gedrücktes, längliches, kleines Metallstück zwischen den hageren Fingern. Clenin und Blatter sahen neugierig hin.
    »Eine Revolverkugel«, sagte Blatter.
    »Wie Sie das wieder gemacht haben, Herr Kommissär!« staunte Clenin.
    »Das ist nur Zufall«, sagte Bärlach, und sie gingen nach Twann hinunter.

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    3

    Der neue Twanner schien Bärlach nicht gutgetan zu haben, denn er erklärte am nächsten Morgen, er habe die ganze Nacht erbrechen müssen. Lutz, der dem Kommissär auf der Treppe begegnete, war über dessen Befinden ehrlich besorgt und riet ihm, zum Arzt zu gehen.
    »Schon, schon«, brummte Bärlach und meinte, er Hebe die Ärzte noch weniger als die moderne wissenschaftliche Kriminalistik.
    In seinem Bureau ging es ihm besser. Er setzte sich hinter den Schreibtisch und holte die einge-schlossene Mappe des Toten hervor.
    Bärlach war noch immer in die Mappe vertieft, als sich um zehn Uhr Tschanz bei ihm meldete, der schon am Vortage spät nachts aus seinen Ferien heimgekehrt war.
    Bärlach fuhr zusammen, denn im ersten Moment glaubte er, der tote Schmied komme zu ihm.
    Tschanz trug den gleichen Mantel wie Schmied und einen ähnlichen Filzhut. Nur das Gesicht war anders; es war ein gutmütiges, volles Antlitz.
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    »Es ist gut, daß Sie da sind, Tschanz«, sagte Bärlach. »Wir müssen den Fall Schmied
    besprechen. Sie sollen ihn der Hauptsache nach übernehmen, ich bin nicht so gesund.«
    »Ja«, sagte Tschanz, »ich weiß Bescheid.«
    Tschanz setzte sich, nachdem er den Stuhl an Bärlachs Schreibtisch gerückt hatte, auf den er nun den linken Arm legte. Auf dem Schreibtisch war die Mappe Schmieds aufgeschlagen.
    Bärlach lehnte sich in seinen Sessel zurück,
    »Ihnen
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