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Der Protektor (German Edition)

Der Protektor (German Edition)

Titel: Der Protektor (German Edition)
Autoren: Christina Czarnowske
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der Höhe unwirklich aus, wenn man überhaupt etwas erkennen kann. Im Hubschrauber ist das Gefühl anders, als wäre man selbst am Flug beteiligt.
    Der Regen hat fast aufgehört, die Wolken verziehen sich westwärts, und der Meeresarm hat eine fantastische perlmuttblaue Farbe. Das Meer ist still, völlig ruhig, mit dunkelgrauen und blauen Streifen, und die nahen Inseln scheinen mit den dünnen Brückenbögen aneinandergebunden zu sein. In der Ferne fallen die Gebirgsgrate ab, und zerfetzte Nebelballen ziehen über sie hin. Eine herbe, ein bisschen schwermütige und kalte Schönheit.
    Unter uns aber liegt die Stadt, und jetzt sieht man deutlich, dass Krongatan eigentlich aus mehreren Städten besteht. Auf dem Hügel ist das Mittelmeer mit den aneinandergedrängten spitzen Dächern und den Kirchtürmen, die ich, so scheint es mir, mit der Hand berühren könnte. Um den Hafen herum lagern schmutzige Rauchschwaden, aus denen einförmige Häuserblocks herausragen, wie man sie überall baut. Ihre Fenster glänzen, vom Regen gewaschen. Die Vororte links und rechts sind eine weitere Stadt, durchzogen von breiten Asphaltbändern, über die Autos wie Spielzeuge kriechen. Mich interessiert Börgstaden, der Stadtteil hinter dem Hügel.
    Ich nehme das Fernglas, und auf einmal wird alles anders. Ich verliere mich geradezu in dem Chaos von Dächern, Häusern, großen Kreuzungen, die mir ins Auge springen.
    Schließlich gelingt es mir, mich zu orientieren, und der Platz mit dem Bronzedenkmal erscheint im Objektiv.
    Ich hebe die Hand, das ist das verabredete Zeichen. Der Leutnant sagt etwas ins Mikrofon, und der Hubschrauber verlangsamt den Flug, hängt fast bewegungslos über dem Ufer.
    Viel Zeit brauche ich nicht, ich darf's auch nicht übertreiben, weil das jemanden misstrauisch machen könnte. Die Stadt ist an die Hubschrauber des Küstenschutzes gewöhnt, aber nicht, dass sie lange an einer Stelle verweilen.
    Der Platz, das Denkmal, die Straße zu dem von Peet van Aelst gemieteten Haus – alles liegt, unnatürlich vergrößert und deutlich vor meinen Augen. Für eine Sekunde erscheinen sogar große Gesichter von Passanten.
    Das Haus. Jetzt kann ich es mir anschauen. Es ist zweigeschossig, massiv, mit einer Terrasse zum Hof hin. Genau gegenüber liegt die Garage. Die zweiflüglige Tür steht halb offen, drinnen brennt Licht. Offensichtlich nutzt Peet van Aelst seine Zeit und beschäftigt sich mit dem Auto, das er gekauft hat.
    Danach erscheinen die umliegenden Straßen im Objektiv.
    Die erste Querstraße, die Zweite.
    Abermals gebe ich ein Zeichen mit der Hand – ein bisschen höher. Wieder gibt der Leutnant etwas übers Mikrofon durch. Und da entdecke ich den Lieferwagen, den ich schon vom Vormittag kenne und suche. Noch ein paar Sekunden, nur ein paar! Ich drehe an der Vergrößerungsschraube, der Lieferwagen füllt das ganze Gesichtsfeld aus, und ich kann die Nummer gut erkennen. Ja, er ist es! Er parkt nur hundert Meter vom Haus van Aelst, und das Seitenfenster ist dicht mit einem mächtigen Pelz behängt.
    Mehr brauche ich nicht, das genügt: die Garage, in der Licht brennt, und der Lieferwagen, der auf seinem Posten steht. Ich warte noch ein bisschen, der Hubschrauber fliegt auf seinem Kurs weiter, und dann erst lege ich das Fernglas beiseite. Ich möchte nicht, dass jemand bemerkt, welches Objekt mich interessiert hat.
    Dann vergeht noch eine halbe Stunde, in der ich unruhig bin und mir selbst gut zurede, dass ich nicht unruhig sein darf, denn der Küstenschutz hat schließlich seine Aufgabe und ist nicht verpflichtet, mich sofort wieder in der Stadt abzusetzen. Immerhin habe ich gesehen, was ich sehen wollte. Und nachdem meine Strapazen in der Luft vorbei sind, bringt mich ein Taxi in die Pension zurück.
     
    Jetzt kann ich mir sogar erlauben, zu Mittag, zu essen, obwohl es eher Zeit für den Nachmittagskaffee ist. Ich muss auch meine Rolle weiterspielen und mich auf die bevorstehende, entscheidende Auseinandersetzung vorbereiten. Außerdem erinnert mich mein Magen daran, dass es mit dem Fasten nicht so weiter geht.
    Ich suche mir ein gutes Restaurant in der Nähe aus und trete in wohltuende Stille ein. Der Ober begrüßt mich an der Tür wie einen Stammgast, führt mich an den Tisch und erklärt diskret, was auf der Speisekarte steht. Seine weißen Handschuhe glänzen.
    Ich kann mir auch dieses Restaurant, seine Stille und ein ausgiebiges Mittagessen leisten. Das wird dem anderen ganz schön auf die Nerven gehen.
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