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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels
Autoren: Will Berthold
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bum. Und er fiel um. Die Ärzte nennen das Herzschlag.
    Doch zurück zur Geschichte unseres Smokings. Als der Mann, den der Charleston gemordet hatte, beerdigt wurde, zu genau der gleichen Stunde, verkaufte unsere liebe, kleine Freundin Lizzy seine Anzüge, darunter diesen Smoking, an einen Trödler. Vom Trödler wanderte er zum Verleih Miller & Krause. Er hat 16 Hochzeiten erlebt und 21 Beerdigungen. Er diente vier Taufpaten und wurde einmal sogar bei einem Ministerempfang getragen. Heute nachmittag holte ihn dieser Herr, der die Liebenwürdigkeit hatte, auf die Bühne zu kommen, um 16 Uhr 15 ab. Die Stadtkasse hatte ihm zuvor zehn Mark Leihgebühr ausgehändigt. Der Herr ist nämlich vom Finanzamt. Er ist hier, um die Vergnügungssteuer zu kontrollieren. So kommt ein Beamter der Steuerfahndung in den Anzug eines Inflationsschiebers. Nicht mehr so neu, deshalb sobillig …«
    Hanussen wendet sich jetzt direkt an den Steuerbeamten:
    »Ich freue mich, Sie hier zu sehen. Aber Ihr Besuch ist eine an sich überflüssige Maßnahme, mein Lieber. Dieser Saal hat über 2000 Sitzplätze. Sie sind jeden Abend ausverkauft. Wenn man nicht Beamter ist, muß man drei Tage im voraus sein Billett erwerben, um Erik Jan Hanussen zu sehen.«
    Hanussen geht auf die dritte Versuchsperson zu.
    »Um Gottes willen!« ruft er. »Ich sehe ein Haus. Ein vierstöckiges Haus in einer belebten Straße. Warten Sie! Es ist in der Nähe vom ›Alex‹. Ein vierstöckiges Haus mit vielen Räumen. Ein Bankhaus.«
    Hanussen macht eine Pause. Er holt tief Luft. Sein Atem kommt stoßweise. Die spielerische Leichtigkeit, mit der er halb im Spaß, halb im Ernst doziert hat, fällt von ihm ab.
    »Rufen Sie die Feuerwehr!« sagt er. »Sofort! Unverzüglich! Ihr Bankhaus wird sonst heute Nacht abbrennen.« Er sieht auf seine Armbanduhr. »Sie haben vier Minuten Zeit. Danken Sie Gott, daß sich die Berliner Feuerwehr vor kurzem neue Autos angeschafft hat. Es sind jetzt noch drei Minuten und 50 Sekunden. Ich darf Sie nicht länger aufhalten. Im Tresorraum entsteht ein Kurzschluß. Sie verwahren 360.000 Mark in bar in den Safes. Beeilen Sie sich, wenn Ihnen an dem Geld liegt. Sie haben jetzt noch drei Minuten und 20 Sekunden. Warum überlegen Sie es sich noch?«
    Das Publikum wird kribbelig. Der Mann auf der Bühne ist ein bekannter Bankdirektor. Man weiß von ihm, daß er jeder seiner geschiedenen Frauen 1000 Mark Alimente zahlt. Macht 5000 Mark pro Monat.
    Hanussen winkt einem Pagen.
    »Der Herr möchte telephonieren. Schnell. Es ist eilig!«
    Der Direktor ist unentschlossen. Soll er der Feuerwehr den Brand melden, noch bevor er entstanden ist? Soll er sich lächerlich machen vor den 2000 Leuten im Saal? Vor den vielen Presseleuten, die Hanussen auf Schritt und Tritt beobachten? Unfähig, einen Entschluß zu fassen, folgt er dem Pagen. Sein Gesicht ist ausdruckslos. Nie mehr im Leben wird er eine Bühne betreten.
    Er geht zum Telephon. Er spricht, ohne zu wissen, was er sagt. Er hört eine Antwort, die er nicht versteht. Minuten später heulen die Sirenen der Feuerwehr durch die Nacht. Großalarm!
    Der Brand wird im Entstehen gelöscht. Dank des rechtzeitigen Alarms.
    Das ist die neueste Sensation um Hanussen. Ist er wirklich ein Hellseher? Oder bezahlte er aus seinen Riesengagen Brandstifter? Ganz Berlin diskutiert diese Frage.
    Fast auf den Tag genau zwei Jahre später wird Hanussen einen anderen Großbrand voraussagen. Das wird der Anfang von seinem Ende sein …
    Hanussen hält seinen Einzug in das Romanische Café, dem Künstler- und Literatentreff des damaligen Berlin. Mit Freund und Feind diskutiert er seine echte oder vermeintliche Gabe, gutgelaunt, derb, hemdsärmelig. Am liebsten unterhält er sich mit Leuten, die in ihm einen Scharlatan sehen. Hält man ihn für einen Hochstapler, gibt er sich als Hellseher aus. Ist er aber im Kreise von überzeugten Bewunderern, so bezeichnet er sich als Hochstapler.
    Seine Gagen wachsen ins Riesenhafte. Tausend Mark netto pro Abend zahlt ihm die »Scala«. Er richtet sich in der Lietzendorfer Straße eine Prunkvilla ein. Er empfängt. Man geht zu Hanussen. Man zahlt ihm fürstliche Honorare. Man macht ihn gesellschaftsfähig. Man diskutiert über ihn. Man macht ihn groß. Geachtet oder verachtet: Erik Jan Hanussen wird der Hanussen.
    In Kneipen, in Cafés, auf den Boulevards, in den Zeitungsspalten wird das Phänomen Hanussen erörtert. Auf Hinterhöfen spielen die Kinder Hellseher. Psychologen und
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