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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels
Autoren: Will Berthold
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von der anderen Seite her führen.«
    »Das könnte Ihnen so passen, Hokuspokus im Gerichtssaal.«
    »Entlarven Sie ihn«, entgegnet Hanussen kalt. »Sie haben jetzt Gelegenheit dazu. Passen Sie auf: In Ihrer Brieftasche sind zweieinhalb Kronen, eine unbenutzte Omnibusfahrkarte und eine unbezahlte Schneiderrechnung.«
    Gelächter im Zuschauerraum.
    »In der Aktentasche des Herrn Vorsitzenden sind zwei Butterbrote und ein Kommentar zum Strafrecht. Aber ich gehe noch weiter: Der Wachtmeister vor der Türe hat sein Taschentuch vergessen. Er hat sich deshalb von seiner Frau eines ausgeliehen. Seine Frau sitzt in der Mitte der hintersten Reihe. Der Wachtmeister hat ein Päckchen Schnupftabak und einen Kamm in seiner Tasche. Dem Kamm fehlen drei Zähne. Ich bitte, das nachzuprüfen.«
    »Wir sind hier nicht im Theater«, erwidert der Vorsitzende. »Sie stehen vor Gericht. Es geht um Ihre Freiheit, Angeklagter. Bitte nehmen Sie die Sache ernster.«
    »Ich bitte, die Angaben meines Mandanten nachzuprüfen. Sie liefern einen Beweis für seine hellseherischen Gaben«, sagt Hanussens Verteidiger.
    »Das ist nur Gedankenübertragung. Das hat mit Hellsehen nichts zu tun.«
    »Dann werde ich Ihnen noch einen anderen Beweis liefern«, erklärt Hanussen. »Am Bahnhof von Leitmeritz, Gleis zwei, steht ein Mann mit grünem Hut. Er ist vor zehn Minuten in die Handelsbank eingebrochen. Sein Zug läuft in vier Minuten ein. In seiner Aktentasche ist das geraubte Geld. Wenn Sie schnell zupacken, können Sie den Mann noch fassen.«
    Hanussen hatte recht. Er erreichte einen sensationellen Freispruch. Im Urteil billigte ihm das Gericht ausdrücklich hellseherische Fähigkeiten zu und setzte sich damit offensichtlich in Widerspruch zum wissenschaftlichen Gutachten.
    Mit dieser gerichtlichen Bescheinigung in der Tasche sollte Hanussen das Berlin der dreißiger Jahre erobern.
    Lächelnd geht er aus dem Saal, lächelnd verabschiedet er sich von seinem Verteidiger. Lächelnd nimmt er die Glückwünsche der wieder zu ihm übergelaufenen Zaungäste des Gerichts entgegen.
    Am Ausgang des Gebäudes trifft er eine brünette Dame. Es ist die Baronin Prawitz.
    »Guten Tag, Madame«, sagt Hanussen. »Sie sehen, das Gericht hält mehr von meiner Arbeit als Sie.«
    »Das kann schon sein«, erwidert sie.
    »Es sind jetzt fast vier Wochen verstrichen«, fährt Hanussen fort, »das ist die Frist, die ich unserer Liebe gestellt habe. Sie erinnern sich doch noch unseres Gesprächs von neulich?«
    »Ja«, entgegnet die Baronin. »Ich habe ganz vergessen, Ihnen eine Antwort darauf zu geben.«
    Sie holt blitzschnell aus und schlägt ihm in das Gesicht. Einmal mit der linken und ein zweites Mal mit der rechten Hand.
    Hanussen steht verdutzt da.
    »Warum so überrascht?« fragt die Baronin ironisch. »Sie sind doch Hellseher.«
    Der Trommelwirbel wird lauter und schneller. Er steigert sich zur Raserei. Der Mann am Schlagzeug versteht sein Handwerk. Das Licht im Saal geht aus. Scheinwerfer tasten sich von links und rechts auf den dunkelroten Samtvorhang zu. Die Leute im Saal haben die Vorbereitungen für die Hauptnummer des Abends schon viele Male erlebt. Sie kennen den akustischen Rahmen und die Lichteffekte, die dem Star vorausgehen.
    Der Trommelwirbel setzt plötzlich aus. Ein Saxophon schmachtet ein paar unwirkliche Töne in den dunklen Raum.
    »Meine Damen und Herren«, sagt eine kalte Geisterstimme. »Sie erleben jetzt der Welt größten Hellseher: Erik Jan Hanussen. Halten Sie den Atem an. Der Hauch des Schicksals geistert durch den Raum.«
    Die Berliner »Scala« ist gefüllt bis zum letzten Platz. Der Staatsanwalt von Leitmeritz stand Pate bei der Karriere des Hellsehers. Ein unterlegener Staatsanwalt hat etwas von dem makabren Odium eines gehörnten Ehemannes. Was Staatsanwälte erfolglos anfassen, wächst unter ihren Händen, ob es sich um Filme, Magazine oder Bühnenstücke handelt.
    Der Vorhang öffnet sich. Der Schlagzeuger legt einen letzten Wirbel hin. Rasend schnell wechselt das Scheinwerferlicht die Farbe, strahlt den Mann, der im tadellos geschnittenen Frack mit fixierten Haaren und blaßgeschminkten Wangen die übergroße Bühne betritt, rot, blau und violett an.
    »Guten Abend«, sagt Hanussen. Seine Stimme ist heiser. Er spricht mittellaut, langsam und gedehnt. Er hat Zeit.
    »Was sie bei mir sehen, hat Ihnen noch niemand gezeigt«, fährt er fort. »Bitte, suchen Sie keine Erklärung dafür. Es gibt keine. Was Sie hier erleben, ist außerhalb
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