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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels
Autoren: Will Berthold
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leichte Verwirrung, aber schon ist Hanussen zur Stelle.
    »Küss' die Hand, meine Damen«, sagt er, »entschuldigen Sie, daß ich hier so eindringe. Das heißt, es kann vielleicht Ihr Glück sein. Herr Ober, bringen Sie eine Flasche Schampus! Natürlich den besten! Wie immer! Keine Angst, mein Freund, die Zeche bezahle ich!«
    Er läßt sich auf den leeren Stuhl fallen. »Sie kennen mich doch, nicht?«
    »Der ist wohl größenwahnsinnig«, sagt eines der beiden Mädchen.
    »Das auch«, erwidert Hanussen, »aber ich kann es mir leisten.«
    Er wendet sich an den Herrn. »Ich will Ihnen etwas sagen, mein Lieber: Zwei Mädchen sind zuviel für Sie. Welche treten Sie mir freiwillig ab?«
    »Scheren Sie sich zum Teufel!« flucht der Herr.
    »Dann muß ich mich direkt an die Damen wenden«, entgegnet Hanussen. »Welche von Ihnen kann mich am wenigsten leiden?« fragt er.
    Das Mädchen auf der linken Seite antwortet:
    »Ich glaube, wir mögen Sie alle beide nicht.«
    »Das ist wunderbar«, antwortet der Hellseher, »dann seid ihr beide wie geschaffen für mich.«
    »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.« Breit trägt das Saxophon die Melodie in die Herzen und Beine der Gäste. Die Damen tragen enganliegende, überlange, tiefausgeschnittene Kleider in zarten Pastellfarben. Die Herren bevorzugen den Smoking. Berlin lacht, trinkt, flirtet, tanzt. Ab Mitternacht findet die Wirtschaftskrise im Saale statt. Im Tanzsaal. Dicke Herren und junge Mädchen, Männer in Frauenkleidung, Frauen in Männerhosen, morphiumsüchtige Bardamen und frühreife Jugendliche demonstrieren, daß sie im Schatten des Weltkrieges aufgewachsen sind.
    Erik Jan Hanussen, der Hellseher, an dessen gedrungener Figur die Blicke aller hängen, als müsse sich um diesen meistgenannten Mann seiner Zeit jeden Augenblick etwas ereignen, dieser Wanderer zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, legt beim Tanz die linke Schulter zu weit nach vorn. Sein Smoking sitzt, als wäre er angegossen und nicht geschneidert. Hanussen zieht den rechten Fuß nach und legt seine Wange an das Gesicht eines blutjungen, kecken, frischen Mädchens. Besuche in Nachtlokalen sind für seine heutige Partnerin noch selten. Jeden Morgen um 8.30 Uhr zieht sie bei Müller & Söhne das Wachstuch von der Schreibmaschine. Mit dieser »Flaggenhissung« beginnt die Neunzehnjährige den Alltag.
    »Bist du nun Marion oder Margot?« fragt sie Hanussen.
    »Raten Sie mal! Sie wissen doch alles!«
    »Also Margot?«
    »Falsch«, erwidert das Mädchen lachend, »Sie sind mir ein schöner Hellseher.«
    »Ab 23 Uhr bin ich außer Dienst.«
    Sie gehen an die Bar.
    »Ist es wahr, daß sich um Sie die Frauen so reißen?«
    »Ich kann mich nicht über mangelnden Besuch beschweren.«
    »Das versteh' ich nicht«, sagt sie. »Sehen Sie dort in den Spiegel. Großmama, was hast du für große Ohren? Menschenskind, die sind ja doppelt so groß, wie sie sein dürften. Und die Lippen! Viel zu schwulstig! Und die Nase erst! Nein, schön sind Sie nicht!«
    Hanussen lacht. Er ist gut gelaunt. Alles sieht zu ihm hin. Sein Weizen blüht. Er geht zurück zum Tisch.
    »Wir können einen Stellungswechsel machen«, sagt er. Er wendet sich an den Herrn neben dem anderen Zwillingsmädchen. »Sie haben Sorgen, nicht?«
    »Sie merken aber auch alles.«
    »Geld?«
    »Ja.«
    »Wieviel?«
    »4000.«
    »Und wann platzt der Wechsel?«
    »Gestern.«
    »Das werden wir in Ordnung bringen«, sagt der Hellseher. »Wie heißen Sie?«
    »Dzino«, sagt der Herr, der Sorgen hat.
    »Das klingt tschechisch.«
    »Nein, falsch!« erwidert Dzino. »Ich bin Deutschjugoslawe. Ich war Offizier.«
    Hanussen sieht ihn einen Augenblick prüfend an.
    »Offizier? Das kann stimmen. Und dann? Lassen Sie mich raten. Autoverkäufer? Eintänzer? Wechselreiter? Vielleicht noch ein bißchen Heiratsschwindler? Mensch, was gäben Sie für einen ab!«
    Dzino ist blond und mittelgroß, und er hat etwas, daß sich alle Frauen nach ihm umdrehen.
    »Wir machen ein Geschäft«, sagt Hanussen. »Ich fange Ihre Wechsel auf. Dafür arbeiten Sie bei mir als Sekretär.«
    »Was hat ein Sekretär bei Ihnen zu tun?«
    »Eine ganze Menge. Viel sehen und wenig reden, das ist Gebot Nummer eins. Sehen Sie, Dzino, zu mir kommen die merkwürdigsten Leute, Sie müssen alle warten, auch wenn sie Minister sind. Sie warten eine halbe Stunde, eine Stunde, manchmal zwei und mitunter auch ein paar Tage. Bis sie zu mir vorgelassen werden, will ich wissen, wie sieheißen, ob sie
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